Schwarzer Kuss Der Nacht
ihren Kopf, während sie angestrengt horchte. Einerseits wollte sie es noch einmal hören, andererseits betete sie, es möge nicht kommen.
Es kam: weiche Schritte auf dem dicken Teppichboden. Sofort waren ihre Nerven zum Zerreißen angespannt. Sie mochte vor über einem Jahr mit den Unsterblichen und anderen gegen einen Dämon gekämpft haben, aber Mai war weder eine Heldin noch blöd. Sie würde gewiss nicht hierbleiben und abwarten, wer es war und was er wollte.
Also sammelte sie ihre Magie, schloss die Augen und konzentrierte sie auf den Blood Club, die Bar, die ihr guter Vampirfreund Ricco betrieb.
Leider blieb der ohrenbetäubende Lärm aus, der ihr bestätigte, dass die Teleportation erfolgreich war. Sie hörtenichts außer ihrem eigenen hektischen Atem und dem Rascheln von Stoff.
Mist!
Seit der Schlacht haperte es dauernd an ihrer Magie.
Eine eisige Furcht überkam sie, als ihr klarwurde, dass sie mit dem Eindringling allein war. Dann ging das Flurlicht an. Mai blinzelte in die plötzliche Helligkeit, in der eine maskierte Gestalt ganz in Schwarz auftauchte.
Sie füllte den gesamten Türrahmen aus, so dass an Flucht nicht zu denken war.
»Was willst du?« Sie hasste das Zittern in ihrer Stimme. »Ich habe Geld in meiner Handtasche.«
»Dein Geld will ich nicht«, entgegnete eine rauhe, heisere Männerstimme.
Als er ins Zimmer trat, wich Mai unwillkürlich zurück, um den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. »Verschwinde!«
»Ich habe eine Botschaft für dich:
Vergiss die Story!
«
Anscheinend hatte sie mit ihren Recherchen einen empfindlichen Nerv getroffen – was hieß, dass sie über etwas richtig Großes gestolpert war. »Wer schickt dich?«
»Du stellst immer noch Fragen? Mit denen hast du dich doch überhaupt erst in Schwierigkeiten gebracht.« Er verkleinerte die Distanz zwischen ihnen.
Nun zwang Mai sich, stehen zu bleiben. »Na gut. Du hast deine Botschaft überbracht. Jetzt raus hier!«
»Das war nicht die Botschaft. Das hier ist sie.«
Schmerz flammte in ihrem Gesicht auf, noch ehe sie bemerkte, dass seine Hand sich bewegte. Ihr Kopf schnellte zur Seite, und Tränen schossen ihr in die Augen. Die Innenseite ihre Unterlippe schlug gegen ihre Zähne und platzte auf, worauf der Kupfergeschmack von Blut ihren Mund füllte. Gleichzeitig drehte sich das Zimmer um sie, und sie sank auf die Knie. Sie wollte wegkrabbeln, konnte aber nicht.Der Ausschnitt, den sie sah, wurde beständig kleiner, weil ihr Bewusstsein schwand.
Leider hatte sie nicht das Glück, richtig bewusstlos zu werden. Sie spuckte Blut aus und blickte auf.
»Wer ist deine Quelle?«, knurrte ihr Angreifer.
Lenny Brown
. Der Name huschte ihr durch den Kopf, und sie musste gegen den Impuls ankämpfen, ihn einfach auszusprechen. Wie leicht es wäre, ihn preiszugeben, damit der Kerl – und der Schmerz – aufhörte! Aber es wäre Lennys Todesurteil, deshalb schwieg sie. Stattdessen sann sie auf Rache. Falls sie das hier überlebte, würde sie das Papier in ihrer Tasche und alle Informationen benutzen. Ja, sie würde Preston öffentlich hinrichten, weil er hinter diesem Überfall steckte! Er war der Einzige, der einen Ruf zu verteidigen hatte.
»Rede!«, befahl der Schläger.
»Fick dich!«
Sie schrie auf, als er ihr Haar packte und ihren Kopf nach hinten riss. Da sie zu benommen war, um allein aufzustehen, zog er sie nach oben. »Denk daran, dass du dir das selbst eingehandelt hast!« Ihr wurde schlecht vor Schmerz, als er ihr ins Gesicht boxte. Nach Atem ringend, nahm sie automatisch die Hände hoch, um ihre gebrochene Nase zu schützen. Das war ein taktischer Fehler, denn nun war ihr Bauch ungeschützt, und in dem landete seine Faust als Nächstes.
»Denk daran!«, knurrte er wieder.
Hilflos sackte sie zu Boden. Sie bekam keine Luft mehr. Während ihr speiübel war, dachte sie:
Das war’s! So sterbe ich.
Alles, was sie erreichen wollte und nicht geschafft hatte, ging ihr durch den Kopf: unerfüllte Träume, unerfüllte Liebe. Dort draußen gab es jemanden für sie, den Mann, den sie vollkommen, bedingslos lieben könnte.
Wo bist du?
Ihr wurde schwarz vor Augen, und das Klingeln in ihrem Kopf nahm zu. Der Tod, dachte sie. Jetzt holt er mich. Sehnsucht nach einer Liebe, die sie nie gekannt hatte und nicht mehr kennenlernen würde, machte sie verzweifelt.
Es tut mir leid.
Wie würde der Tod sich anfühlen? Würde er schmerzen?
Sie wartete. Langsam drang Luft in ihre Lunge, und ihr Selbsterhaltungstrieb setzte ein.
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