Schwarzer Mittwoch
zu werden? Dass man sich gestattet, einem anderen Menschen zu vertrauen? Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, aber das mit Frank fühlt sich anders an. Ich bin inzwischen viel stärker als früher und nicht mehr so leicht zu beeinflussen.«
»Das freut mich sehr«, antwortete Frieda, »wirklich.«
»Gut! Ich bin mir sicher, dass ihr beide euch mögen werdet. Er findet dich großartig. Aber ich bin nicht nur hier, um wie ein Teenager von Frank zu schwärmen. Es gibt da noch etwas, das ich dir unbedingt sagen muss. Ich habe es sonst noch niemandem erzählt, aber …«
Es klingelte.
»Wer kann das sein? Für Chloë ist es noch viel zu früh, außerdem hat sie einen Schlüssel.«
Es klingelte noch einmal, und dann begann jemand zu klopfen. Frieda wischte sich mit einer Papierserviette den Mund ab und nahm noch schnell einen Schluck von ihrem Wein, ehe sie aufstand.
»Wer auch immer das ist, ich lasse niemanden herein«, erklärte sie.
Es war Judith Lennox. Sie trug eine Herrenjacke, die ihr viel zu groß war, und dazu eine Hose, die für Frieda wie eine Reithose aussah. Neben ihr stand Dora. Ihr langes braunes Haar war zu einem französischen Zopf geflochten. Ihr Gesicht wirkte verkniffen und blass.
»Hallo«, sagte Judith leise. »Sie haben gesagt, dass ich wieder zu Ihnen kommen darf.«
»Judith.«
»Ich wollte Dora nicht allein lassen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass sie dabei ist.«
Friedas Blick wanderte zwischen den Mädchen hin und her.
»Mein Dad betrinkt sich irgendwo«, erklärte Judith, »und wo Ted ist, weiß ich nicht. Ich halte es mit Tante Louise im Haus einfach nicht mehr aus. Wenn sie nicht bald verschwindet, gibt es einen zweiten Mord.«
Dora stieß einen Seufzer aus.
»Ihr kommt wohl besser herein«, sagte Frieda, die nicht recht wusste, welches Gefühl bei ihr überwog: Mitleid mit diesen beiden Mädchen, die da vor ihrer Haustür standen, oder Wut, weil sie sich um sie kümmern musste.
»Sasha, das sind Judith und Dora.« Sasha blickte überrascht hoch, »zwei Freundinnen von Chloë.«
»Das sind wir eigentlich gar nicht«, stellte Judith richtig. »Ted ist ein Freund von Chloë. Ich kenne sie nur ein bisschen. Dora hat sie noch gar nicht kennengelernt, oder, Dora?«
»Nein.« Doras Stimme war nur ein Flüstern. Frieda kam es vor, als könnte man durch das Mädchen fast hindurchsehen – blaue Adern unter bleicher Haut, dunkle Augenringe, ein Hals, der fast zu dünn wirkte, um ihren Kopf zu tragen, dürre Beine mit einem großen Bluterguss an einem der Schienbeine. Frieda rief sich ins Gedächtnis, dass Dora die Leiche ihrer Mutter gefunden hatte.
»Setzt euch«, sagte sie. »Habt ihr schon etwas gegessen?«
»Ich habe keinen Hunger«, antwortete Dora.
»Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr«, erklärte Judith, »und du hast nicht mal zum Frühstück etwas gegessen, Dora.«
»Hier.« Frieda holte zwei weitere Teller aus dem Schrank und stellte sie vor die Mädchen. »Wir haben genug für alle.« Als sie Sashas irritierten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte sie hinzu: »Die Mutter von Judith und Dora ist erst kürzlich gestorben.«
»Oh!« Sasha lehnte sich zu den beiden hinüber. Im flackernden Kerzenlicht wirkte ihr Gesicht ganz weich. »Das tut mir aber leid!«
»Jemand hat sie ermordet«, klärte Judith sie in barschem Ton auf. »In unserem Haus.«
»Nein! Das ist ja schrecklich!«
»Ted und ich glauben, dass es ihr Geliebter war.«
»Nicht!«, flüsterte Dora kläglich.
Frieda registrierte, wie Judith in Teds Abwesenheit seine Rolle übernahm. Aus ihrer Stimme sprach die gleiche Wut – die gleiche ätzende Bitterkeit –, die sonst ihr Bruder an den Tag legte.
»Kann ich einen Schluck Wein haben?«
»Wie alt bist du?«
»Fünfzehn. Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass ich keinen Wein trinken darf, weil ich erst fünfzehn bin!« Sie stieß ein hässliches Schnauben aus. Ihre Stimme klang plötzlich kratzig, und ihre blauen Augen blitzten.
»Du hast morgen Schule. Außerdem kenne ich dich kaum. Ich gebe dir ein Glas Wasser.«
Judith zuckte mit den Achseln.
»Egal. Eigentlich ist mir jetzt sowieso nicht nach Wein.«
»Dora, iss doch ein bisschen Reis«, sagte Sasha mit einem gurrenden Unterton in der Stimme. Sie möchte eine Familie gründen, ging Frieda durch den Kopf. Sie hat sich verliebt, und nun wünscht sie sich Kinder.
Dora nahm sich einen Teelöffel Reis und schob ihn lustlos auf dem Teller herum. Sasha legte ihre Hand
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