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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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den Mord an Ruth Lennox. Ich möchte eine Aussage machen.«
    Yvette nahm gegenüber von Elaine Kerrigan Platz. Sie registrierte die hektischen roten Flecken auf den sonst so bleichen Wangen der Frau. Ihre Augen blitzten. Die Brille, die sie an einer Kette um den Hals hängen hatte, war verschmiert, und ihr Haar sah aus, als hätte sie sich schon länger nicht mehr gekämmt.
    »Sie haben dem Beamten am Eingang gesagt, dass Sie eine Aussage machen wollen.«
    »Ja.«
    »Wegen des Mordes an Ruth Lennox?«
    »Richtig.«
    »Ich bringe Ihnen jetzt erst einmal ein Glas Wasser.«
    Beim Verlassen des Raums stieß sie fast mit Karlsson zusammen. Er sah so schlecht aus, dass sie ihn mitfühlend am Arm berührte.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Warum sollte es mir nicht gut gehen?«
    »Ich dachte ja nur. Ich bin gerade da drin.« Sie machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Befragungszimmer. »Mit Elaine Kerrigan.«
    »Warum denn das?«
    »Das weiß ich noch nicht. Ich hole ihr gerade ein Glas Wasser. Sie macht einen sehr aufgeregten Eindruck.«
    »Ach, tatsächlich?«
    »Sind Sie mit Russell Lennox schon fertig?«
    »Ich habe gerade beschlossen, eine Pause einzulegen, eine Stunde oder so. Es schadet ihm bestimmt nicht, wenn wir ihn noch ein bisschen schmoren lassen.« Seine Miene wirkte grimmig. »Ich habe etwas zu erledigen.«
    »Was denn?«
    »Das sage ich Ihnen lieber nicht. Sie würden es nicht verstehen und mich für verrückt halten. Manchmal glaube ich selbst schon, dass ich verrückt geworden bin.«
    Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Fearby erklärte, er müsse noch bei ein paar Leuten vorbeischauen, wenn er schon einmal in London sei, und fuhr wieder davon. Frieda blieb allein zurück und wusste nichts mit sich anzufangen. Am Ende tat sie, was sie immer tat, wenn sie sich unsicher oder niedergeschlagen fühlte oder düstere Gedanken sie nicht zur Ruhe kommen ließen: Sie marschierte durch die Stadt. Dieses Mal führte ihr Weg sie in Richtung Kings Cross. Sie schlängelte sich durch kleine Gässchen, um dem Verkehrslärm zu entgehen, und bog dann in die Straße ein, die nach Camden Town führte. Dabei musste sie wieder an das mit Dingen vollgestopfte Haus denken, in dem die Familie Lennox gelebt hatte – vielleicht ein bisschen unordentlich, aber trotzdem irgendwie gemütlich. Nun stand es leer. Russell saß in Untersuchungshaft, und Ted, Judith und Dora befanden sich im Haus ihrer Tante, viele Kilometer entfernt. Dort herrschte zumindest Ordnung, so viel stand fest.
    Sie wandte sich dem Kanal zu. Auf den Decks der Hausboote, die dort entlang des Treidelpfads vertäut lagen, standen Topfpflanzen und Töpfchen mit Kräutern. Hier und da lag ein Hund in der Sonne. Auf einem der Boote entdeckte Frieda einen großen Käfig mit einem Papagei, der sie neugierig beäugte. Auf anderen konnte man sogar einkaufen: Bananenbrot, Batikschals, Kräutertee, Schmuck aus Recyclingmaterial. Immer wieder wurde Frieda von Radfahrern oder Joggern überholt. Man merkte, dass der Sommer nahte: an der warmen Luft, dem schon recht gleißenden Licht und dem saftigen Grün der ersten zarten Blätter. Bald würde Sandy kommen. Dann konnten sie mehrere Wochen miteinander verbringen, nicht nur ein paar Tage.
    Das alles ging ihr durch den Kopf, aber sie spürte es nicht. Ganz im Gegenteil, die fröhlichen Menschen um sie herum erschienen ihr unwirklich und weit entfernt. Sie selbst gehörte zu einer anderen Welt – einer Welt, in der junge Frauen von einem Mann mit einem sympathischen Gesicht aus dem Leben gerissen worden waren. Er hatte sogar seine eigene Tochter getötet, Lila, da war sich Frieda inzwischen ganz sicher, und dennoch hatte er wegen ihres Verschwindens ehrlich bekümmert gewirkt. Friedas Blick fiel auf ein großes Graffiti, das jemand mit Kreide auf eine Mauer gemalt hatte: ein riesiges Maul voller scharfer Zähne. Sie schauderte. Trotz der warmen Nachmittagssonne war ihr plötzlich kalt.
    Sie lief den Kanal bis zum Regents Park entlang. Die Häuser auf der anderen Seite wirkten sehr vornehm, fast wie kleine Schlösser. Was für Leute dort wohl wohnten? Rasch durchquerte sie den Park, ohne einen Blick für die Scharen von Kindern, die turtelnden Paare und den jungen Mann, der neben den Ziergärten seine Matte ausgerollt hatte und seltsam langsame Körperübungen ausführte.
    Schließlich wanderte sie durch etliche Seitenstraßen zurück nach Hause. Als sie die Tür aufschloss, hörte sie drinnen schon ihr Telefon

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