Schwarzer Mittwoch
Frieda fragte sich, wie lange er wohl gebraucht hatte, um sich für dieses Treffen fertig zu machen. Er hatte einen festen, wenn auch leicht feuchten Händedruck und eine etwas abgehackte, nuancierende Art zu sprechen. Sein Lächeln kam Frieda aufgesetzt vor. Es schien in keinem Zusammenhang mit dem zu stehen, was er gerade sagte. Außerdem nannte er sie für ihren Geschmack ein bisschen zu oft beim Namen.
»Also, Frieda, wie läuft das jetzt?«, fragte er, nachdem er ihr gegenüber Platz genommen hatte, die Handflächen auf die Knie gestützt.
»Als Erstes hätte ich gern ein paar Informationen über Sie, und dann möchte ich, dass Sie mir erzählen, warum Sie hier sind.«
»Informationen. Sie meinen Alter, Beruf und was man sonst so alles angibt, wenn man ein Formular ausfüllen muss?«
»Genau.«
»Ich bin siebenundzwanzig, arbeite im Bereich Verkauf und Marketing, und zwar sehr erfolgreich. Ich bringe Leute dazu, Dinge zu kaufen, von denen sie vorher gar nicht wissen, dass sie sie wollen oder brauchen. Vielleicht missbilligen Sie das, Frieda, aber so funktioniert die Welt nun mal. Es geht nicht darum herauszufinden, was die Leute wirklich brauchen, und es ihnen dann zu geben. Nein, man weckt in ihnen ein Bedürfnis, und dann erfüllt man es.«
»Sie leben in London.«
»Ja, in Harrow.«
»Erzählen Sie mir etwas über Ihre Familie.«
Seamus blickte auf seine Hände hinunter.
»Mein Vater ist gestorben, als ich siebzehn war. Was mir aber nichts ausmachte. Er war sowieso ein Taugenichts, und mich hatte er immer auf dem Kieker. Ich war froh, als er seinen Abgang machte. Meine Mum … das ist eine andere Geschichte. Sie vergöttert mich. Ich bin das Küken der Familie: Ich habe zwei ältere Schwestern, dann kommt eine Lücke, und dann komme ich. Sie macht mir immer noch die Wäsche. Kaum zu glauben, oder? Und ich bin jeden Sonntag bei ihr zum Mittagessen. Nur sie und ich.«
»Leben Sie allein?«
»Mehr oder weniger. Ich lebe gern allein. Ich fühle mich nicht einsam und habe viele Freunde.« Er schwieg einen Moment, blickte hoch, bedachte sie mit einem Lächeln und starrte dann wieder auf seine Hände hinunter, ehe er hinzufügte: »Und viele Freundinnen. Die Frauen stehen auf mich. Ich weiß, wie man sie glücklich macht.«
»Und? Tun Sie das?«
»Was?«
»Die Frauen glücklich machen.«
»Ja, das habe ich doch gerade gesagt. Jedenfalls eine Weile, aber an die Leine legen lasse ich mich nicht. Ich bin nicht der treue Typ. Ich brauche Abwechslung, Aufregung, Herzklopfen. Als Junge habe ich oft Sachen geklaut, nur wegen des Adrenalins. Schockiert Sie das?«
»Sollte es?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls ist es mit den Frauen das Gleiche. Ich stehe auf die Anfangsphase, die Jagd. Aus dem Grund bin ich auch in meinem Job gut. Es verschafft mir Befriedigung, den Leuten etwas aufzuschwatzen, das sie gar nicht brauchen. Genauso verschafft es mir Befriedigung, Frauen in mich verliebt zu machen. Nur bei meiner Mum bin ich ruhig und normal.«
Frieda sah ihn an. Obwohl es in ihrer Praxis ziemlich kühl war, hatte er Schweißtropfen auf der Stirn.
»Wenn Ihnen Ihr Leben so gut gefällt, warum sind Sie dann hier bei mir?«
Seamus straffte die Schultern und holte tief Luft.
»Ich stehe darauf, Macht über Menschen zu haben.« Frieda bemerkte, wie er schluckte. Als er dann fortfuhr, sprach er langsamer, als würde er sich jedes Wort überlegen. »Ich weiß noch genau, wie ich meinem Vater immer die Haare schneiden durfte, als ich ein Junge war. Mein Vater war ein großer Mann, viel größer als ich, und kräftig gebaut. Er hatte einen dicken Hals und breite Schultern. Neben ihm kam ich mir ganz klein vor. Von Zeit zu Zeit aber hielt ich diese scharfe Schere in der Hand, und er schloss die Augen und ließ mich sein Haar abschnippeln.« Er zögerte einen Moment, als fiele ihm gerade etwas ein. »Ich erinnere mich noch genau daran, wie sein feuchtes Haar roch, wenn ich die Finger hineinschob und über die Kopfhaut strich. Es roch nach ihm. Ich spürte, dass er mir Macht über sich gab, indem er mich an sein Haar ließ. Noch heute kann ich das Klappern der Schere hören. Sie war so scharf, dass ich ihn damit hätte umbringen können. Ich hatte Macht über ihn. Das bewirkte bei mir ein Gefühl von Stärke, aber auch Zärtlichkeit, weil er zuließ, dass ich mich um ihn kümmerte – mit einem Gerät, das ihn genauso gut verletzen konnte.«
Er zwang sich, den Kopf zu heben und Frieda in die Augen zu sehen. Er stutzte
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