Schwarzer Mittwoch
Hilfe bitten, lässt vermuten, dass Sie im Grunde gar keine Hilfe brauchen.«
»Ich weiß nicht, wie Sie das meinen.«
»Sie befürchten, gewalttätig zu werden und nicht genug Empathie für andere zu empfinden. Aber Sie haben auf Danielle gehört und suchen Hilfe. Das beweist Einsicht.«
»Was ist mit der Tierquälerei?«
»So etwas sollten Sie nicht tun, aber wie Sie sagten, ist das schon lange her. Deswegen lautet mein Rat: Tun Sie es nicht wieder.«
Dunne schwieg verwirrt.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Wie wäre es mit ›Auf Wiedersehen‹?«, schlug Frieda vor.
Nachdem Seamus gegangen war, stand Frieda auf, trat ans Fenster und blickte zu dem Gelände auf der anderen Straßenseite hinüber. Früher hatten dort einmal Häuser gestanden, bis eine Abbruchbirne durch ihre Mauern schwang. Dann hatten Bagger und Kräne zwischen dem Schutt Stellung bezogen. Eine Weile war es eine Baustelle gewesen, mit Mietcontainern und Bauarbeitern, die Schutzhelme trugen und während ihrer Pausen Tee tranken. Rundherum hatte man Bretterwände errichtet, auf denen große Schilder vom unmittelbar bevorstehenden Bau eines brandneuen Bürogebäudes kündeten. Doch plötzlich wurden die Arbeiten eingestellt: Man befand sich schließlich in einer Wirtschaftskrise. Die Männer zogen mit ihren Baggern ab, ließen allerdings einen einzelnen kleinen Kran zurück, der immer noch mitten auf dem Gelände stand. Inzwischen waren die Flächen, wo vorher der Schutt lag, von Unkraut und Gestrüpp überwuchert. Das Gelände hatte sich in eine Wildnis verwandelt, wo Kinder spielten und manchmal Obdachlose schliefen. Von Zeit zu Zeit sah Frieda sogar Füchse durch das Gestrüpp streifen. Vielleicht würde es so bleiben, dachte Frieda – und die Leute daran erinnern, dass selbst in einer Großstadt wie London manches unkontrolliert und unberechenbar bleiben musste. Nachdenklich betrachtete sie die Nesseln und Wiesenblumen, zwischen denen hier und da sogar ein bisschen Gemüse wuchs – ein paar hartnäckige Überlebende aus zerstörten Gärten.
Nein. Sie konnte Seamus Dunne nicht helfen, auch wenn sie ein bestimmtes Bild nicht mehr aus dem Kopf bekam: wie er seinem Vater die Haare schnitt. Vor ihrem geistigen Auge sah sie immer wieder die schimmernde Schere schnippen, auf und zu, auf und zu.
Liebste Frieda, ich verstehe, dass du im Moment keine Pläne schmieden kannst. Lass dir Zeit, aber schmiede keine Pläne ohne mich, ja? Ich war heute in einer Ausstellung mit sehr violetten Gemälden. Außerdem habe ich ein paar Kräutertöpfe für den Balkon gekauft – auch wenn ich nicht weiß, ob sie den kalten Wind überstehen werden, der wie ein Messer durch diese Stadt schneidet. Ich glaube, mit der Zeit könnte es dir hier schon gefallen. Zumindest könntest du dich in den Menschenmassen und all der Fremdheit verlieren. Es gibt Tage, an denen ich mir einbilde, einen Blick auf dein Gesicht zu erhaschen. Irgendwo inmitten der vielen Leute sehe ich dein keckes Kinn oder einen roten Schal. Dann setzt einen Moment lang mein Herz aus. Umgeben von Leuten, die ich mag, bin ich hier einsam ohne dich. Voller Liebe, Sandy xxx
10
J im Fearby gab niemals auf: Seine Hartnäckigkeit war seine Gabe und sein Fluch. Er konnte nichts dagegen tun, er war einfach so.
Als Zehnjähriger hatte er bei einem Schulausflug mal gesehen, wie man ohne Zündholz Feuer machte. Es wirkte so einfach, als der Mann in der Kampfjacke es vorführte: ein Brett mit einer eingeritzten Kerbe, ein langer Stock, eine Handvoll trockene Gräser und Rindenstücke – mehr brauchte er dazu nicht. Nachdem der Mann den Stock ein, zwei Minuten lang zwischen seinen Handflächen hin- und hergerollt hatte, entstand in dem Nest aus Heu und Rinde ein erster Hauch von Glut, in die der Mann sanft hineinblies, bis daraus eine Flamme züngelte. Ein Schüler nach dem anderen versuchte, es ihm gleichzutun, und einer nach dem anderen scheiterte. Als Fearby nach Hause kam, verbrachte er Stunden damit, einen Stock zwischen den Händen hin- und herzurollen, bis seine Handflächen davon ganz wund und voller Blasen waren. Tag für Tag kauerte er mit steifem Nacken und schmerzenden Händen in ihrem kleinen Garten, bis eines Tages die erste Glut unter der Spitze seines Stocks zu glimmen begann.
Fearbys Mutter, inzwischen schon lange tot, hatte immer recht stolz verkündet, ihr Sohn sei der sturste Mensch, den sie kenne. Seine Frau nannte es Verbissenheit. »Du bist wie ein Hund mit einem Knochen«,
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