Schwarzer Mittwoch
hatte eigentlich vorgehabt, den Anrufbeantworter einzuschalten und sich in ihr Arbeitszimmer zu begeben, wo ihre weichen Bleistifte und ihr grobkörniges Zeichenpapier warteten und kein Mensch mehr etwas von ihr wollte, bis sie sich dann schließlich auf ihre weichen Kissen sinken und von der Dunkelheit umfangen ließ. Vielleicht war ihr diese Nacht mal ein traumloser Schlaf vergönnt, einfach nur Vergessen. Sie konnte Nein sagen.
»In einer halben Stunde bin ich bei euch.«
»Ich bin nicht zu Hause. Ich sitze in einem Café gleich beim Roundhouse. Du kannst es gar nicht verfehlen. Draußen hängt ein riesiges, auf dem Kopf stehendes Flugzeug. Das Café ist nämlich zugleich eine alternative Kunstgalerie.«
»Moment mal, Chloë …«
»Danke, Frieda!«, schnitt Chloë ihr in enthusiastischem Ton das Wort ab und beendete dann ganz schnell das Gespräch, ehe Frieda es sich anders überlegen konnte.
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hieß das Café Joe’s Malt House, und an der Außenwand hing tatsächlich ein großes Flugzeug, und zwar mit der Nase nach unten. Frieda schob die Tür auf und betrat einen langen, dunklen Raum, der mit Tischen und unterschiedlichen Stühlen bestückt war. An den Wänden hingen Bilder, die sie in dem schummrigen Licht kaum erkennen konnte. Sowohl die Tische als auch die lange Theke, die mitten durch den Raum verlief, waren gut besetzt. Es spielte ziemlich laute Musik mit hämmernden Bässen, und die Luft roch intensiv nach Bier, Kaffee und Räucherstäbchen.
»Brauchen Sie einen Tisch?«, fragte eine junge Frau, die in zerfetztes Schwarz gekleidet war und einen Blitz auf die Wange tätowiert hatte. Die Art, wie sie sprach, klang nach Themsemündung und Oberschicht. Ihre Stiefel ähnelten denen des Terminators.
Frieda hörte jemanden ihren Namen rufen und spähte durch den Raum. Am anderen Ende entdeckte sie Chloë, die wild mit den Armen fuchtelte, um sie auf sich aufmerksam zu machen.
»Ich hoffe nur, dass es wirklich wichtig ist.«
»Bier?«
»Nein, danke.«
»Dann vielleicht Tee. Es gibt hier gute Kräutertees.«
»Worum geht es?«
»Ich musste dich irgendwie herlocken. Wegen Ted.«
»Ted? Du meinst den jungen Mann von neulich?«
»Er braucht Hilfe.«
»Ja, da bin ich mir sicher.«
»Aber das Problem ist, dass er deswegen nichts unternimmt. Wenn ihn jemand darauf anspricht, wird er nur wütend, deswegen habe ich mir gedacht, ich muss das für ihn in die Wege leiten.«
»Ich kann dir ein paar Namen nennen, Chloë, aber er muss selbst wollen …«
»Ich brauche keine Namen, Frieda, ich habe ja dich.«
»O nein, vergiss es!«
»Du musst ihm helfen.«
»Ich muss gar nichts. So funktioniert das nicht.«
»Bitte. Du verstehst das nicht. Ich mag ihn wirklich gern, und er ist so dermaßen am Ende …« Sie griff nach Friedas Hand. »Oje, Mist, da ist er schon. Gerade kommt er rein.«
»Du hast hoffentlich nicht getan, was ich vermute.«
»Es ging nicht anders«, zischte Chloë und beugte sich dabei vor. »Wenn ich gesagt hätte, worum es geht, wärst du nicht gekommen und Ted auch nicht.«
»Genau.«
»Du kriegst das bestimmt hin, dass es ihm wieder besser geht.«
»Seine Mutter ist ermordet worden, Chloë. Wie soll ich das denn wieder hinkriegen?«
Während Frieda aufstand, kam Ted die Theke entlanggestolpert. Als er sie beide entdeckte, blieb er abrupt stehen und starrte sie an. Er wirkte noch genauso ungepflegt und aufgelöst wie beim letzten Mal. Und wie beim letzten Mal bewirkte Friedas Anblick, dass sich auf seinen Wangen hektische rote Flecken bildeten. Sein Blick wanderte von Chloë zu Frieda und wieder zurück.
»Sie?«, stieß er hervor. »Was läuft denn hier?«
Chloë sprang auf und eilte zu ihm.
»Ted«, sagte sie, »hör zu.«
»Was macht sie hier? Du hast mich reingelegt .«
»Ich wollte dir helfen«, widersprach Chloë verzweifelt. Einen Moment lang empfand Frieda richtig Mitleid mit ihrer Nichte. »Ich dachte, ihr beide könntet euch einfach ein bisschen unterhalten.«
»Ich brauche keine Hilfe. Ihr solltet mal meine Schwestern sehen. Die brauchen wirklich Hilfe. Ich bin kein kleines Kind mehr.« Er sah Chloë an. »Ich dachte, du wärst meine Freundin.«
»Das ist ungerecht«, meldete Frieda sich in scharfem Ton zu Wort. Er wandte ihr sein bekümmertes und zugleich höhnisches Gesicht zu. »Ich bin auch der Meinung, dass Chloë sich falsch verhalten hat, aber sie hat es getan, weil sie deine Freundin ist und ihr etwas an dir liegt. Also
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