Schwarzer Mittwoch
warteten keine auf Conley. Seine Mutter war während seiner Jahre im Gefängnis gestorben, und seine Schwester hatte ihn seit seiner Verhaftung kein einziges Mal besucht. Fearby gegenüber hatte sie erklärt, sie sei froh, verheiratet zu sein und den Namen ihres Mannes zu tragen, weil ihr beim Namen ihres Bruders schlecht werde. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben, und Freunde besaß er auch keine. In der Kleinstadt, in der er gelebt hatte, war er immer ein einsamer Außenseiter gewesen – jemand, der stets abseits stand und voller Verwunderung und Sehnsucht das Leben an sich vorüberziehen sah. Nach seiner Verhaftung hatten seine Nachbarn gesagt, sie hätten ihn schon immer seltsam und gruselig gefunden, und das Ganze sei für sie überhaupt keine Überraschung. Außer Fearby hatte ihn im Gefängnis nie jemand besucht, von den letzten paar Wochen mal abgesehen.
Diana McKerrow, Conleys Anwältin, stand mit einer Flasche Sekt neben dem Tor. Sie sprach im Namen ihres Mandanten zu den Presseleuten, indem sie von einem Stück Papier ablas, das sie aus ihrer Jackentasche zog: Worte über die skandalösen polizeilichen Ermittlungen, die verlorenen Jahre, die Conley niemals zurückbekommen würde, das Vertrauen einiger weniger guter Seelen, die nie aufgehört hätten, an Conleys Unschuld zu glauben. Fearby, der ein Stück von der kleinen Menschenmenge entfernt stand, wurde dabei nicht namentlich erwähnt. Er wusste nicht so recht, was er erwartet hatte. Nachdem er so viele Jahre auf diesen Moment hingearbeitet hatte, erschien er ihm nun unspektakulär und schal: Ein übergewichtiger Mann schlurfte ängstlich zum Tor hinaus und zuckte erschrocken zusammen, als die Kameras aufblitzten.
Die Journalisten strömten vor und reckten ihm ihre Mikrofone entgegen. »Wie fühlt es sich an, wieder frei zu sein?« »Werden Sie klagen?« »Was haben Sie jetzt für Pläne, Mister Conley?« »Wo werden Sie leben?« »Was werden Sie als Erstes machen?« »Sind Sie wütend?« »Was haben Sie alles verpasst?« »Können Sie uns sagen, wie Sie über die Polizei denken?« Fearby war sicher, dass einige von ihnen Scheckbücher bereithielten. Jetzt wollten sie seine Geschichte. Nachdem sie ihn all die Jahre geschmäht und dann vergessen hatten, war er jetzt plötzlich ihr Held – aber ein Held, dem diese Rolle nicht lag. Seine Antworten bestanden aus gemurmelten Halbsätzen: »Keine Ahnung«, sagte er. »Wie meinen Sie das?« Dabei blickte er nervös hin und her. Diana McKerrow schob ihm einen Arm unter den Ellbogen. Sein Abgeordneter positionierte sich auf der anderen Seite und lächelte in die Kameras.
Feary wusste, dass sie alle Conley bald wieder vergessen würden – in seinem kleinen Raum in einem Haus voller anderer Außenseiter und Einzelgänger, abgeschieden und am Ende. Er empfand einen Anflug von schlechtem Gewissen und zugleich Zorn: Musste er sogar jetzt noch Conleys einziger Freund bleiben? Musste er ihn weiterhin besuchen, gelegentlich auf ein Bier einladen und ihm nach Möglichkeit einen Job beschaffen? War das der Lohn dafür, dass er dafür gesorgt hatte, dass Conley wieder als freier Mann hinaus in die Welt durfte?
Nachdem er sich mühsam durch die Menge gekämpft hatte, berührte er Conley am Arm.
»Hallo, George«, sagte er, »Glückwunsch.«
»Hallo«, antwortete George. Er roch ungewaschen. Seine Haut wies eine graue Gefängnisblässe auf, und sein Haar lichtete sich bereits.
»Den Rest des Tages werden Sie ziemlich beschäftigt sein. Ich wollte nur Hallo sagen und Ihnen meine Telefonnummer geben. Rufen Sie mich an, wenn Sie wollen, dann komme ich vorbei und besuche Sie.« Er zwang sich, ein wenig mehr Begeisterung in seine Worte zu legen. »Wir können essen gehen oder ein Bierchen miteinander trinken, oder einen Spaziergang machen.« Er zögerte. »Vielleicht nervt Sie dieser ganze Rummel, aber das legt sich bald. Dann sollten Sie darüber nachdenken, was Sie als Nächstes tun wollen.«
»Als Nächstes?«
»Ich schaue bei Ihnen vorbei.«
Conley starrte ihn mit offenem Mund an. Wie ein kleines, fettes Kind, dachte Fearby. Es fühlte sich nicht nach einem Happy End an.
Später bei der Pressekonferenz las der Beamte, der die Ermittlungen geleitet hatte, eine Erklärung vor: Er gebe offen zu, dass Fehler gemacht worden seien. George Conleys Geständnis, dass er Hazel Barton ermordet habe, sei auf eine Art zustande gekommen, die – an dieser Stelle verzog er hüstelnd das Gesicht – nicht ganz der
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