Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Die Heftigkeit seiner Antwort überraschte sie.
    Frieda folgte Karlsson hinein. Das Fenster neben der Tür war immer noch kaputt, aber das Absperrband war verschwunden und das Team der Spurensicherung ebenfalls. Das Haus strahlte die eigentümliche Leere eines verlassenen Gebäudes aus, in dem es bereits erste Anzeichen von Vernachlässigung gab und die Luft leicht modrig roch, weil niemand darin wohnte. Außerdem war es natürlich der Ort, wo eine Frau – eine Ehefrau, Mutter und gute Nachbarin, wie Karlsson gesagt hatte – erst vor Kurzem ermordet worden war. Während Frieda in der stillen Diele stand, spürte sie, dass dieses Haus das irgendwie wusste und sich verlassen fühlte.
    Ein großes Foto, dessen Rahmen mehrere Sprünge aufwies, während das Glas ganz zu Bruch gegangen war, lehnte an der Wand. Frieda beugte sich hinunter und betrachtete es.
    »Die glückliche Familie«, erklärte Karlsson. »Aber wie du ja weißt, ist es für gewöhnlich der Mann.« Auf offiziellen Fotos, die gerahmt in der Diele hingen, sahen Familien immer glücklich aus. Alle mussten sich nah zusammenstellen und lächeln: Da war Ted, mit einem glatten Jungengesicht und noch nicht so schlaksig und unordentlich, wie Frieda ihn kannte. Die ältere der beiden Töchter hatte auffallend schöne, helle Augen und kupferrote Locken, die ihr Gesicht wie ein Kranz umrahmten. Die jüngere Tochter wirkte mager und schüchtern, grinste aber mit ihrer Zahnspange, den Kopf leicht an die Schulter der Mutter gelehnt. Der Ehemann und Vater zeigte jene stolze Beschützermiene, die man von einem Ehemann und Vater erwartet, wenn er im Kreis seiner Lieben für ein Foto posiert. Er hatte bereits ergrauendes braunes Haar, die gleichen Augen wie seine ältere Tochter und Augenbrauen, die in einem lustigen Winkel verliefen – ein Gesicht, das wie geschaffen dafür war, fröhlich dreinzublicken.
    Zu guter Letzt war da noch sie, die zusammen mit ihrem Mann in der Mitte stand – in einem melierten Pulli, das weiche Haar zu einem lockeren Knoten geschlungen. Ihr Lächeln wirkte offen. Einen Arm hatte sie um die Schulter ihrer älteren Tochter gelegt, die vor ihr saß, den anderen um die Hüfte ihres Mannes. Eine rührende Geste für ein offizielles Familienfoto, dachte Frieda: lässig und zugleich intim. Sie beugte sich noch weiter hinunter und starrte in ihre Augen. Grau. Kein Make-up, soweit sie sehen konnte. Erste Anzeichen des Alters im Bereich der Mundwinkel und an der Stirn: Lach- und Sorgenfalten, die Landkarte unseres Lebens.
    »Erzähl mir von ihr. Beschreib sie mir«, sagte sie zu Karlsson.
    »Ihr Name ist Ruth Lennox. Vierundvierzig Jahre alt. Von Beruf Gesundheitsschwester, auch wenn sie ein paar Jahre ausgesetzt hat, als die Kinder klein waren. Seit ihre jüngere Tochter eingeschult wurde, hat sie aber wieder in ihrem Beruf gearbeitet. Verheiratet mit Russell Lennox.« Karlsson deutete auf den Mann auf dem Foto. »Seit dreiundzwanzig Jahren. Und zwar glücklich, wie man von allen Seiten hört. Er arbeitet für eine kleine karitative Einrichtung, die sich um Kinder mit Lernproblemen kümmert. Wie du sehen kannst, sind aus der Ehe drei Kinder hervorgegangen – dein Ted, die fünfzehnjährige Judith und die dreizehnjährige Dora. Alle drei besuchen die örtliche Gesamtschule. Ruth hat einen Drachen von einer Schwester, die in London lebt. Ihre Eltern sind beide tot. Ruth ist Mitglied im Lehrer-Eltern-Ausschuss. Eine brave Bürgerin. Die Familie ist nicht reich, kommt aber gut klar: zwei bescheidene, aber feste Einkommen und keine großen Ausgaben, mit Aussicht auf eine anständige Rente. Ruth hat dreitausend Pfund auf ihrem Girokonto und dreizehntausend auf dem Sparbuch. Sie spendet per Dauerauftrag an diverse Wohltätigkeitsorganisationen. Keine Vorstrafen, keine Verkehrsdelikte. Ich spreche in der Gegenwart von ihr, aber natürlich erlitt sie letzten Mittwoch eine katastrophale Kopfverletzung, an der sie mit ziemlicher Sicherheit sofort gestorben ist.«
    »Wen hattet ihr im Verdacht, bevor sich herausstellte, dass der Betreffende als Täter nicht infrage kam?«
    »Einen ortsansässigen Drogensüchtigen mit Vorstrafenregister, von dem wir inzwischen aber wissen, dass er ein absolut wasserdichtes Alibi hat. Er wurde zum Zeitpunkt ihres Todes irgendwo anders von einer Videokamera aufgezeichnet. Er hat zugegeben, dass er eingebrochen ist und ein paar Sachen gestohlen hat. Dann hat er ihre Leiche entdeckt und die Flucht ergriffen. Wir haben ihm anfangs

Weitere Kostenlose Bücher