Schwarzer Mittwoch
nicht geglaubt, aber wie es aussieht, hat er zum ersten Mal in seinem Leben die Wahrheit gesagt.«
»Das kaputte Fenster geht also auf seine Rechnung?«
»Und der Einbruch. Es gab keine Anzeichen für einen Einbruch, als etwas früher eine Nachbarin vorbeischaute. Zu dem Zeitpunkt muss Ruth Lennox nach unserem bisherigen Wissensstand bereits tot gewesen sein. Alles deutet darauf hin, dass sie den Mörder selbst ins Haus gelassen hat.«
»Demnach war es jemand, den sie kannte.«
»Oder jemand, der ihr völlig ungefährlich erschien.«
»Wo ist sie gestorben?«
»Hier drinnen.«
Karlsson führte sie ins Wohnzimmer, wo sich alles wieder an seinem angestammten Platz befand (Kissen auf dem Sofa, Zeitungen und Zeitschriften im Zeitungsständer, Bücher in Wandregalen, Tulpen in einer Vase auf dem Kaminsims), auf dem beigefarbenen Teppich aber immer noch ein dunkler Blutfleck zu erkennen war und etliche Blutspritzer die nächstgelegene Wand verunzierten.
»Das sieht nach heftiger Gewalt aus«, bemerkte Frieda.
»Hal Bradshaw hält es für das Werk eines extrem zornigen Soziopathen mit gewalttätiger Vergangenheit.«
»Während du eher den Ehemann im Verdacht hast.«
»Dafür liegen uns keine Beweise vor, es handelt sich nur um einen Erfahrungswert: Wenn eine Ehefrau ermordet wird, ist es statistisch gesehen am wahrscheinlichsten, dass es der Ehemann war. In unserem Fall hat der Ehemann allerdings ein einigermaßen zufriedenstellendes Alibi.«
Frieda schaute sich um.
»Uns wird immer geraten, uns vor Fremden in Acht zu nehmen«, bemerkte sie, »dabei sind es in Wirklichkeit unsere Freunde, vor denen wir Angst haben sollten.«
»So weit würde ich nicht gehen«, meinte Karlsson.
Sie wechselten in die Küche hinüber, wo Frieda sich mitten in den Raum stellte und den Blick von der ordentlich vollgestellten Anrichte zu den Zeichnungen und Fotos schweifen ließ, die mit Magneten am Kühlschrank befestigt waren, und dann weiter zu dem Buch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Dann kam das Schlafzimmer im ersten Stock an die Reihe: ein Doppelbett mit einer gestreiften Bettdecke, ein goldgerahmtes Foto von Ruth und Russell an ihrem Hochzeitstag vor dreiundzwanzig Jahren, mehrere kleinere Fotos von ihren Kindern in unterschiedlichen Altersstufen, ein Schrank, in dem Kleider, Röcke und Blusen hingen – nichts Spektakuläres, sondern zum Teil schon recht alte, aber gut gepflegte Sachen, wie Frieda registrierte. Schuhe, flach oder mit kleinem Absatz. Ein Paar Lederstiefel, schon leicht abgetragen. Schubfächer, in denen die T-Shirts ordentlich gerollt lagen, nicht gefaltet. Ein Unterwäschefach mit sportlichen Schlüpfern und BH s in Größe 34C. Auf ihrer Kommode ein wenig Schminkzeug, außerdem eine Flasche Parfüm, Chanel. Auf ihrem Nachttisch ein Roman, Frauen und Töchter von Elizabeth Gaskell, aus dem ein Lesezeichen herausragte, und darunter ein Buch über kleine Gärten. Daneben eine zusammengeklappte Lesebrille.
Im Badezimmer: ein Stück geruchlose Seife, Handseife mit Apfelduft, elektrische Zahnbürsten – seine und ihre – und Zahnseide, Rasiercreme, Rasierer, Pinzetten, eine Sprühflasche Deodorant, Reinigungstücher und Feuchtigkeitscreme fürs Gesicht, zwei große Badetücher und ein kleines Handtuch für die Hände, zwei farblich zusammenpassende Waschlappen seitlich der Badewanne, eine an die Wand geschobene Waage, ein Medizinschränkchen mit Paracetamol, Aspirin, Pflaster in diversen Größen, Hustensaft, abgelaufener Salbe gegen Soor, einem Fläschchen Augentropfen, Tabletten gegen Verstopfung … Frieda schloss das Kästchen wieder.
»Keine Verhütungsmittel?«
»Das hat Yvette auch gefragt. Offenbar hatte sie eine Spirale.«
In dem Aktenschrank, der im kleinen Arbeitszimmer ihres Mannes für sie reserviert gewesen war, befanden sich drei Ordner mit Arbeitsunterlagen und jede Menge andere, die mit ihren Kindern zu tun hatten: schulische Qualifikationen, Kindergeldbescheide, Arztberichte, Zeugnisse – zum Teil auf einzelnen Papierbogen, zum Teil zu kleinen Heften zusammengefügt –, die zurückgingen bis zum allerersten Schuljahr in der Grundschule, außerdem Bescheinigungen, die belegten, dass die Kinder in der Lage waren, hundert Meter am Stück zu schwimmen, an einem Eierlauf teilgenommen und in einem Kurs ihre Befähigung zum Fahrradfahren unter Beweis gestellt hatten.
In der schartigen Truhe neben dem Aktenschrank lagerten Hunderte von Bildern und Basteleien, die die Kinder im Lauf der
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