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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Weg zu ihrer Haustür sogar blind zu finden. Plötzlich empfand sie einen Anflug von Heimweh und konnte kaum noch nachvollziehen, welcher Impuls sie hergetrieben hatte.
    Um sieben Uhr war sie in Sandys Viertel angekommen, zögerte aber, ihn zu wecken. Es war ein kühler, bewölkter Tag mit böigem Wind, der Regen verhieß. Sogar die Luft roch hier anders. Nachdem sie noch ein Stück die Straße entlanggegangen war, betrat sie ein kleines Café, bestellte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich damit an einen der Metalltische neben dem Fenster, mit Blick auf die Straße. Sie fröstelte und fühlte sich müde und erfüllt von einem schweren, geheimnisvollen Kummer. Ihr war nicht so recht klar, ob er von den Ereignissen der vergangenen Wochen herrührte oder von der Tatsache, dass sie sich hier befand und in Kürze Sandy wiedersehen würde. Er hatte ihr so gefehlt, doch nun konnte sie sich das Wiedersehen mit ihm gar nicht richtig vorstellen. Was würden sie zueinander sagen, und was konnte der Intensität ihres Getrenntseins gleichkommen? Dann ging ihr plötzlich ein Licht auf, und zwar so heftig, dass sie sich einen Moment lang zusammenkrümmte, als hätte ihr jemand einen Schlag in den Magen verpasst: War sie womöglich hergekommen, um die Sache mit Sandy zu beenden? Kaum war ihr dieser Gedanke bewusst geworden, senkte er sich auch schon wie ein bleiernes Gewicht auf ihre Seele. Dann war es das also?
    Der kleine Raum füllte sich mit Menschen. Draußen begann es zu nieseln. Einzelne Tröpfchen landeten auf der Scheibe und ließen die Leute auf der Straße verschwimmen. Sie fühlte sich weit weg von sich selbst – hier, aber doch nicht ganz da, allein und unsichtbar in einer Stadt, in der es von Menschen nur so wimmelte. Der graue Himmel gab ihr das Gefühl, sich unter Wasser zu befinden. Die Reise bewirkte, dass sie die Zeit wie durch ein Kaleidoskop wahrnahm. Vielleicht sollte sie einfach wieder verschwinden, bevor irgendetwas passierte, und so tun, als wäre sie nie hier gewesen.
    Sandy, der gerade aus dem Feinkostladen kam und auf dem Weg zu der Bäckerei an der Ecke war, wo er immer frische Brötchen für sein Frühstück kaufte, warf im Vorbeigehen einen raschen Blick in das Fenster des Cafés, wandte den Kopf aber gleich wieder ab. Trotzdem nahm er aus dem Augenwinkel ein Gesicht wahr, das ihm vertraut erschien. Als er ein zweites Mal hinschaute, sah er sie durch die regennasse Scheibe an ihrem Tisch sitzen und vor sich hin starren, das Kinn auf eine Hand gestützt. Einen Moment lang fragte er sich, ob er träumte. Dann, als spürte sie seinen Blick, wandte sie den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Sie lächelte nur ganz leicht, trank ihren letzten Schluck Kaffee, erhob sich und steuerte auf den Ausgang zu. Als sie auf die Straße trat, fiel ihm auf, dass sie immer noch hinkte und sehr müde wirkte. Sein Herz krampfte sich zusammen. Sie hatte einen Lederranzen dabei, ansonsten aber kein Gepäck.
    »Lieber Himmel! Was machst du hier?«
    »Wie es aussieht, bin ich gekommen, um dich zu besuchen.«
    »Lieber Himmel!«, wiederholte er.
    »Ich hätte dich gleich angerufen. Ich wollte dich nicht wecken.«
    »Du kennst mich doch.« Er rieb über seine Bartstoppeln und starrte Frieda dabei unverwandt an. »Ich bin Frühaufsteher. Wie spät ist es denn auf deiner Uhr?«
    »Keine Ahnung. Bei mir ist einfach jetzt.«
    »Dann hast du also hier gesessen und gewartet?«
    »Ja. Was ist in der Tüte?«
    »Frühstück. Möchtest du was?«
    »Das wäre nett.«
    »Aber, Frieda …«
    »Was? Wartet in deiner Wohnung eine andere Frau?«
    Sandy stieß ein unsicheres Lachen aus.
    »Nein. Im Moment wartet in meiner Wohnung ausnahmsweise keine andere Frau.«
    Er löste den Gürtel ihres Regenmantels, nahm ihr den Mantel ab und hängte ihn dann an den Haken neben seinem. Es gefiel ihr, wie sorgsam er damit umging. Dann zog er ihr die Stiefel aus und stellte sie nebeneinander an die Wand. Er führte sie in sein Schlafzimmer, wo er die dünnen braunen Vorhänge zuzog, so dass nur noch schwaches, schummriges Licht hereinfiel. Da das Fenster einen Spalt offen stand, konnte Frieda die Geräusche draußen auf der Straße hören, wo gerade der Tag begann. Ihr Körper fühlte sich weich und entspannt an – Begehren, Müdigkeit und Angst gingen ineinander über, bis Frieda sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Sandy zog ihr die restliche Kleidung aus und stapelte sie ordentlich gefaltet auf dem Holzstuhl. Zuletzt öffnete er den Verschluss

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