Schwarzer Mittwoch
ihrer feinen Halskette und legte sie behutsam aufs Fensterbrett. Dann ließ er die Finger über Friedas Narben gleiten, ihren müden, von Jetlag geplagten Körper. Sie musterte ihn dabei eindringlich, fast schon neugierig, als würde sie gerade eine Entscheidung fällen. Er hätte unter ihrem prüfenden Blick am liebsten die Augen geschlossen, schaffte es aber nicht.
Später ging Frieda unter die Dusche, während Sandy ihr einen starken Kaffee zubereitete, den er ihr ans Bett brachte, nachdem sie wieder unter die dünne Decke geschlüpft war.
»Warum hast du plötzlich beschlossen herzukommen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie lange bleibst du?«
»Bis morgen Nachmittag.«
»Morgen!«
»Ja.«
»Dann müssen wir die Zeit nutzen, so gut wir können.«
Frieda schlief, aber nicht tief, so dass sie mitbekam, wie Sandy nebenan telefonierte, um Termine abzusagen, während die Geräusche der Straße in ihre Träume drangen. Am frühen Nachmittag brachen sie zu einem Spaziergang durch das Viertel auf, kauften Kochutensilien für Sandys Küche und gönnten sich in einem kleinen Restaurant ein spätes Mittagessen. Sandy sprach über seine Arbeit, Leute, die er kennengelernt hatte, Brooklyn, ihre Reisepläne für den Sommer. Während er Kollegen imitierte und Frieda lustige Szenen vorspielte, musste sie an ihre erste Begegnung denken. Damals dachte sie zunächst, er wäre einer von diesen typischen Ärzten – vielleicht ein Chirurg, denn er hatte die Hände eines Chirurgen. Auf Frieda wirkte er beherrscht und liebenswürdig: Bestimmt konnte er recht charmant sein, wenn er wollte, und vielleicht hatte er auch ein bisschen etwas von einem Herzensbrecher. So einer interessierte sie nicht. Dann aber hörte sie sein schallendes Lachen und entdeckte, dass sein Lächeln auch spöttisch werden konnte. Hin und wieder wirkte er etwas kühl, und wenn er wütend war, wurde er ganz sanft und zugleich arrogant. Er wies aber auch Seiten auf, die Frieda fast schon weiblich erschienen. Wenn er für sie kochte, achtete er sorgsam auf jedes Detail. Er hatte eine Schwäche für Tratsch. Beim Bettenmachen war er so akkurat, wie es ihm wohl seine Mutter beigebracht hatte, als er noch ein kleiner Junge war – und, wie er selbst sagte, schrecklich schüchtern.
Nun wartete er, bis Frieda sich ein wenig entspannt hatte, ehe er ihr Fragen stellte. Frieda erzählte ihm kurz von dem Lennox-Fall und berichtete dann, was es bei ihren Freunden Neues gab. Sowohl ihr als auch Sandy war bewusst, dass sie etwas vor sich her schoben, ein heikles Thema, das es anzuschneiden galt. Aber beide zögerten noch und wichen ihm erst einmal vorsichtig aus.
»Und was ist mit diesem Zeitungsartikel?«, fragte er.
»Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Aber ich. Du bist nur für vierundzwanzig Stunden hier. Wir müssen über solche Dinge reden.«
»Wirklich?«
»Mich können Sie mit dieser Stimme nicht einschüchtern, Frau Doktor Frieda Klein.«
»Ich war nicht begeistert über den Artikel. Ist es das, was du von mir hören willst?«
»Hast du dich gedemütigt gefühlt?«
»Zumindest bloßgestellt.«
»Und das, obwohl du doch immer unsichtbar sein möchtest. Warst du wütend?«
»Nicht so wie Reuben.« Sie musste lächeln. »Also, der war richtig wütend – und ist es immer noch.«
»Hast du denn überhaupt das Gefühl, dich irgendwie unangemessen verhalten zu haben?«
Obwohl Frieda ihn mit einem finsteren Blick bedachte, wartete er geduldig auf eine Antwort.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie schließlich. »Aber vielleicht muss ich mich im Recht fühlen, weil es sonst zu schmerzhaft für mich wäre. Wobei ich das gar nicht glaube. Der Mann, der zu mir gekommen ist, war ein Scharlatan. Er war kein Psychopath, sondern tat nur so. Warum hätte ich ihn ernst nehmen sollen?«
»Hast du zu dem Zeitpunkt schon gewusst, dass er nur so tat?«
»Irgendwie schon, aber das ist im Grunde nicht der entscheidende Punkt.«
»Was ist denn der entscheidende Punkt?«
»Dass ich durch diese ganze Sache auf etwas aufmerksam geworden bin.«
»Wie meinst du das?«
»Der Mann, der bei mir war, hat mir eine Geschichte erzählt.«
»Das ist mir bekannt.«
»Nein«, entgegnete Frieda ungeduldig, »es gab im Rahmen der großen Geschichte noch eine kleine, bei der ich das Gefühl hatte …« Sie brach ab und überlegte einen Moment. »Ich fühlte mich irgendwie … aufgerufen.«
»Das klingt jetzt aber seltsam.«
»Ich weiß.«
»Kannst du mir das näher
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