Schwarzer Mittwoch
nicht mehr retten konntest. Darüber solltest du nachdenken, statt dich Hals über Kopf in eine neue Rettungsaktion zu stürzen.«
»Vielen Dank, Herr Doktor. Aber Dean ist real. Ruth Lennox ist real. Und diese andere Sache …« Sie legte eine Pause ein und drehte sich ein wenig, so dass sie nun auf dem Rücken lag und in der Dunkelheit zur Decke hochstarrte. »Ich weiß nicht, was sie zu bedeuten hat«, gab sie zu.
»Lass alles sein, was du zurzeit tust. Bleib hier. Bleib bei mir.«
»Du solltest dich mit einer Frau zusammentun, die glücklich ist.« Sie schwieg einen Moment, ehe sie hinzufügte: »Und mit der du Kinder bekommen kannst.«
»Ich habe meine Wahl getroffen.«
»Aber …«
»Ich habe meine Wahl getroffen. Wenn du mich verlassen willst, weil du mich nicht mehr liebst, dann muss ich das akzeptieren. Aber wenn du die Flucht ergreifst, weil du mich liebst und dir das Angst macht, dann akzeptiere ich das nicht.«
»Hör zu.«
»Nein.
»Sandy …«
»Nein.« Er stützte sich auf einen Arm und beugte sich über sie. »Vertrau mir. Lass mich dir vertrauen. Wenn du willst, begleite ich dich in die Unterwelt, oder ich warte am Eingang auf dich. Aber wegschicken lasse ich mich nicht.«
»Du bist ein sehr sturer Mann.«
Sie lagen Arm an Arm, Bein an Bein, Mund an Mund. Ihre Körper verloren ihre Grenzen, bis das erste Licht in die Dunkelheit flutete und es wieder Morgen wurde.
Ein paar Stunden später packte Frieda ihre Zahnbürste ein, vergewisserte sich, dass sie ihren Pass in der Tasche hatte, und verabschiedete sich, als wollte sie nur schnell um die Ecke in den Zeitungsladen. Sie hasste Abschiede.
22
E s war Wochenende, und Karlsson hatte alle Termine abgesagt, um zwei ganze Tage mit Mikey und Bella verbringen zu können. Es schmerzte ihn, dass sie in ein paar Tagen weg sein würden – weit weg von ihm. Dann blieben ihm nur noch Fotos auf dem Schreibtisch, blecherne Stimmen am anderen Ende der Leitung, flackernde Bilder auf Skype. Umso kostbarer erschien ihm nun jede Minute mit ihnen. Er musste sich zwingen, Bella nicht zu fest zu drücken und Mikey nicht immer wieder übers Haar zu streicheln, bis der Junge sich ihm entzog. Die beiden sollten nicht wissen, wie sehr es ihm zu schaffen machte, dass sie weggingen. Er wollte nicht, dass sie sich seinetwegen sorgten oder Schuldgefühle bekamen.
Er machte mit ihnen einen Ausflug ins Schwimmbad von Archway, wo man durch die wilden Kurven einer Rutschbahn ins tiefe Beckenende sausen konnte und Wellenmaschinen dafür sorgten, dass die Kinder vor wohligem Schauer laut kreischten. Er warf die beiden hoch hinauf in die Luft, ließ sich von ihnen unter Wasser drücken und trug sie auf den Schultern durchs Becken. Wenn er tauchte, öffnete er die Augen und sah, wie sich ihre weißen Beine zwischen all den anderen Beinen durch das türkise Wasser bewegten. Gerührt verfolgte er, wie sie in den flacheren Teil des Beckens sausten – zwei jauchzende kleine Gestalten, die vom Chlor schon ganz rote Augen hatten.
Am Spielplatz schubste er sie auf ihren Schaukeln hoch hinauf in die Luft, ließ das Karussell kreiseln, bis ihm schwindlig wurde, kroch hinter den beiden durch einen langen Plastikschlauch und kletterte auf einen Berg aus Autoreifen. Meine Kinder, dachte er: mein Junge und mein Mädchen. Er prägte sich ihr Lächeln ein, um sich später daran erinnern zu können. Sie aßen Eis und schlemmten mittags beim Pizza Express. Wohin er auch schaute, es kam ihm vor, als wären überall Väter allein mit ihren Kindern unterwegs. Zugegeben, er hatte Fehler gemacht und seine Arbeit stets an die erste Stelle gesetzt, weil er der Meinung gewesen war, keine andere Wahl zu haben. Dadurch hatte er fast immer die Rituale des Zubettgehens und das morgendliche Chaos verpasst. Oft hatte er seine Kinder tagelang nicht zu Gesicht bekommen, weil er schon zur Arbeit aufgebrochen war, bevor sie aufwachten, und erst wieder nach Hause kam, wenn sie bereits schliefen. Einmal hatte er sogar den Urlaub frühzeitig abgebrochen, seine Frau die Lücke ausfüllen lassen und die Konsequenzen erst gesehen, als es zu spät war und es keinen Weg zurück mehr gab. War das nun der Preis, den er dafür bezahlen musste?
Sie spielten ein Brettspiel, bei dem er dafür sorgte, dass er verlor. Als er ihnen anschließend einen ganz einfachen Kartentrick vorführte, den er mal gelernt hatte, jubelten sie vor Begeisterung, als wäre er ein richtiger Magier. Dann legte er ein Video ein, und sie
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