Schwarzer Mittwoch
ganz schön schwer ist.«
»Wissen Sie, wer in den anderen Wohnungen lebt?«
»Über uns ist niemand mehr. Die sind schon vor Monaten ausgezogen. Zu der unteren Wohnung kann ich Ihnen nichts sagen.«
»Aber sie wird von jemandem bewohnt?«
»Bewohnt würde ich es nicht nennen. Jemand hat sie gemietet, aber ich sehe sie nie.«
»Sie?«
»Die Leute. Ihn, sie, keine Ahnung.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Manchmal höre ich ein Radio laufen. Tagsüber.«
»Danke. Und letzten Mittwoch, haben Sie da jemanden gesehen?«
»Nein, aber ich habe auch nicht aufgepasst.«
»Vielleicht hat Ihr Mann etwas mitbekommen, wenn er tagsüber zu Hause ist?«
Sie sah erst den einen und dann den anderen Detective an, ehe sie müde die Schultern zuckte.
»Er schläft viel oder döst zumindest vor sich hin, wegen seiner Tabletten.«
»Schon gut. Können Sie uns sagen, wer der Besitzer ist?«
»Den bekommt man hier nicht zu sehen.«
»Wie heißt er?«
»Mister Reader. Michael Reader. Vielleicht haben Sie von ihm gehört. Man sieht seine Schilder überall. Sein Großvater hat nach dem Krieg jede Menge von diesen Häusern aufgekauft. Er ist der wahre Verbrecher.«
20
D uncan Bailey wohnte in Romford, in einem Wohnklotz aus Beton, bei dem nicht an Platz gespart worden war: Es handelte sich um ein Gebäude mit langen, eisig kalten Gängen, hohen Decken und großen Fenstern, die auf einen Wirrwarr aus anderen Häusern und ineinander verschlungenen Straßen hinausgingen.
Frieda wusste, dass er zu Hause sein würde, weil sie ihn nach reiflicher Überlegung auf seinem Handy angerufen und einen Termin mit ihm vereinbart hatte. Er hatte überhaupt nicht nervös geklungen, nicht einmal überrascht, sondern entspannt und fast amüsiert, und er hatte sich bereit erklärt, sie an diesem Nachmittag um halb sechs zu empfangen, sobald er aus der Bibliothek zurück war. Er studierte Psychologie am Cardinal College, wo Hal Bradshaw als Gastdozent Vorlesungen hielt, und hatte bereits seinen ersten akademischen Abschluss gemacht.
Frieda stieg in den dritten Stock hinauf. Während sie den breiten Gang entlangeilte, überlegte sie, ob Bailey wohl dachte, dass sie auf Rache aus sei. Nein, Frieda wurde nicht von Rachegelüsten getrieben, sondern von etwas, das ungewöhnlicher und zugleich unbestimmbarer war. Obwohl sie es selbst nicht benennen konnte, ging ihr irgendetwas Undeutliches, Schemenhaftes im Kopf herum.
Duncan Bailey war ein extrem kleiner junger Mann. In dem gewölbeartigen Wohnzimmer wirkte er völlig fehl am Platz und fast schon komisch. Er hatte hellbraunes Haar, einen ordentlich getrimmten Ziegenbart, lebhafte blaue Augen und ein schmales Gesicht mit ausgeprägter Mimik. Er wirkte freundlich, aber zugleich ein wenig sarkastisch. Frieda fand es schwer zu beurteilen, ob er wirklich so war oder nur so tat.
»Danke, dass Sie sich zu diesem Treffen bereit erklärt haben«, sagte Frieda.
»Kein Problem. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört.«
»Ich wollte Sie nur ein paar Sachen fragen. Es geht um das Experiment, an dem wir beide teilgenommen haben.«
»Sie sind deswegen hoffentlich nicht sauer«, antwortete er mit einem Lächeln.
»Warum sollte ich?«
»Manche Leute könnten sich unter Umständen gedemütigt fühlen, aber es geschah alles im Dienst der Wissenschaft. Wobei Doktor Bradshaw meinte, Sie würden das vielleicht anders sehen.«
»Er sollte es eigentlich besser wissen«, entgegnete Frieda. »Aber so, wie ich das verstanden habe, mussten Sie alle das gleiche Krankheitsbild simulieren, die gleichen Symptome beschreiben. Sehe ich das richtig?«
»Doktor Bradshaw hat gesagt, wir könnten nach Lust und Laune vom Skript abweichen, solange wir alle entscheidenden Zutaten hineinschmuggelten.«
»Die Episode, in der es darum ging, dem Vater die Haare zu schneiden, gehörte auch zu Ihrer Geschichte?«
»Ja. Hat sie Ihnen gefallen?«
»Hat Doktor Bradshaw den Fall selbst konstruiert?«
»Er hat ihn abgesegnet, aber zusammengebastelt wurde er von einem der anderen Forscher. Wir haben uns nie als Gruppe getroffen. Ich bin ziemlich spät dazugestoßen. Sie brauchten noch jemanden, und ich habe ihnen den Gefallen getan.«
»Wer waren die anderen?«
»Sie wollen, dass ich Ihnen ihre Namen nenne?«
»Aus reinem Interesse.«
»Damit Sie sie ebenfalls besuchen können.«
»Vielleicht.«
»Sie betreiben da einen ziemlich großen Aufwand. Bis nach Romford ist es ein weiter Weg, nur um eine einfache Frage zu
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