Schwarzer Mittwoch
fand ich es wirklich unheimlich. Ich war zu Fuß auf dem Heimweg von den Läden in der Nähe meines Elternhauses. Dabei musste ich an einem Stück Brachland vorbei. Inzwischen steht dort ein Supermarkt. Neben mir hielt ein Wagen. Ein Mann bat mich um eine Wegbeschreibung. Er stieg aus, und plötzlich packte er mich am Hals. Ich schlug wie wild um mich, schrie ihn an und rannte davon. Meine Mum wollte damals unbedingt, dass ich die Polizei anrief. Zwei Beamte sind vorbeigekommen und haben mit mir darüber gesprochen. Das war’s.«
»Aber im Prozess ist es nicht zur Sprache gekommen.«
»In welchem Prozess?«
»Dem von George Conley.«
Sie starrte ihn verständnislos an.
»Erinnern Sie sich an die Ermordung von Hazel Barton?«
»Nein.«
Fearby überlegte einen Moment. War das Ganze bloß eine weitere falsche Spur?
»Woran erinnern Sie sich?«
»Das ist alles Jahre her.«
»Immerhin hat ein Mann versucht, Sie zu kidnappen«, entgegnete Fearby, »das muss doch ein denkwürdiges Erlebnis gewesen sein.«
»Es war richtig eigenartig«, berichtete Vanessa. »Als es passierte, kam es mir vor wie ein Traum. Sie wissen schon … wenn man einen wirklich schlimmen Albtraum hat und sich dann, nachdem man aufgewacht ist, an fast nichts erinnern kann. Ich erinnere mich an einen Mann, der einen Anzug trug.«
»War er alt? Jung?«
»Ich weiß es nicht. Ein Teenager war er jedenfalls nicht, aber auch kein alter Mann. Er war ziemlich stark.«
»Groß? Klein?«
»Mittelgroß, würde ich sagen. Vielleicht ein bisschen größer als ich, aber sicher bin ich mir da nicht.«
»Was ist mit seinem Wagen? Können Sie sich an die Farbe oder Marke erinnern?«
Sie runzelte vor Konzentration die Stirn.
»Silbergrau, glaube ich, aber womöglich sage ich das nur, weil die meisten Autos silbergrau sind. Ich kann mich wirklich an fast nichts erinnern. Ehrlich. Es tut mir leid.«
»Fällt Ihnen sonst noch irgendetwas dazu ein?«
»Nein, aber ich hatte schon damals nur eine ganz verschwommene Erinnerung, und seitdem sind sieben Jahre vergangen. Ich erinnere mich an den Mann. Ich weiß noch, was für ein Gefühl es war, als ich seine Hand an meinem Hals spürte, und dass der Motor immer wieder aufheulte, aber das ist auch schon alles.«
Fearby schrieb alles wortwörtlich in sein Notizbuch – genau so, wie sie es formulierte.
»Und sonst hat er nichts von sich gegeben?«
»Er hat mich wie gesagt um eine Wegbeschreibung gebeten. Vielleicht hat er noch etwas anderes gesagt, als er mich packte, aber das weiß ich nicht mehr.«
»Und Sie haben nie wieder etwas von der Polizei gehört?«
»Damit hatte ich auch gar nicht gerechnet.«
Fearby klappte sein Notizbuch zu.
»Das haben Sie gut gemacht«, sagte er.
Sie sah ihn verblüfft an.
»Wie meinen Sie das?«
»Sie haben ihn abgewehrt.«
»So war das nicht«, widersprach sie. »Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass ich das war. Es kam mir vor, als würde ich mich selbst im Fernsehen sehen.« Sie griff nach ihrem Telefon und warf einen Blick darauf. »Ich muss zurück.«
21
F rieda kannte New York nicht. Für sie war es eine abstrakte Stadt der Schatten und Symbole, wo Dampf aus Abflüssen stieg – eine Stadt, in der Menschen ankamen und sich zerstreuten.
Es gefiel ihr, dass ihre Maschine zum Landeanflug ansetzte, als es noch dunkel war, auch wenn bereits ein Lichtstreif den Morgen ankündigte. Auf diese Weise blieb ihr alles noch größtenteils verborgen. Sie sah nur ein sich verschiebendes Muster aus dicht gedrängten Gebäuden und pulsierenden Lichtern. Nur durch das eine oder andere Fenster ließ sich ein flüchtiger Blick auf erwachendes Leben erhaschen. Bald würde sie die Stadt klar vor sich ausgebreitet liegen sehen, und ihre geheimnisvolle Aura würde sich in Normalität auflösen.
Sie hatte Sandy nicht gesagt, dass sie kam, weil sie es selbst nicht gewusst hatte. So früh am Morgen lag er bestimmt noch im Bett. Deswegen tat sie, was sie immer tat, wenn sie sich unsicher fühlte: Sie machte sich zu Fuß auf den Weg und folgte dem Stadtplan, den sie sich besorgt hatte, bis sie schließlich auf der Brooklyn Bridge stand und auf die Skyline von Manhattan zurückblickte, die ihr zugleich vertraut und fremd erschien. Frieda musste an ihr eigenes, schmales kleines Haus denken, das umgeben war von einem Netzwerk aus Gassen. Dort fiel ihr sofort auf, wenn die Rollläden eines Ladens frisch gestrichen waren oder man eine Platane zurückgestutzt hatte. Sie bildete sich ein, den
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