Schwarzer Mittwoch
Idee.« Polly stupste gegen Friedas Schulter und verfehlte dabei nur knapp den Bereich, der noch bandagiert war, so dass Frieda leicht zusammenzuckte. »Man hat Sie dumm dastehen lassen«, fuhr Polly fort. »Finden Sie sich damit ab. Und jetzt gehen Sie einfach, weil Ian dazu nämlich nichts mehr zu sagen hat und Sie gerade anfangen, ihn zu belästigen und mir auf die Nerven zu gehen.« Sie begann Frieda zu schubsen, als wollte sie den unerwünschten Gast gewaltsam zur Tür hinausbugsieren.
»Lassen Sie das.« Frieda hob abwehrend die Hände.
»Zeit zu gehen!«, rief Polly und schubste sie noch fester.
Frieda stemmte eine Hand gegen die Brust der Frau, drückte sie mit dem Rücken an die Wand und hielt sie dort fest. Dann lehnte sie sich so weit vor, dass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. »Ich habe gesagt, dass Sie das lassen sollen«, erklärte sie in leisem, bedächtigem Ton.
Yardley stand auf.
»Was, zum Teufel, soll das?«, fragte er.
Als Frieda sich nach ihm umdrehte, nahm sie die Hand von Pollys Brust und trat gleichzeitig einen Schritt zurück. Was als Nächstes passierte, bekam sie gar nicht so richtig mit. Sie spürte nur eine hektische Bewegung neben sich. Polly wollte sich auf sie stürzen, stolperte dabei aber und fiel mit voller Wucht über einen Schemel.
»Ich fasse es nicht!«, wandte sich Yardley an Frieda. »Sie tauchen hier auf und fangen eine Schlägerei an.«
Polly versuchte, sich wieder hochzurappeln, doch Frieda beugte sich über sie.
»Kommen Sie bloß nicht auf dumme Gedanken«, sagte sie. »Bleiben Sie einfach, wo Sie sind.« Dann wandte sie sich wieder an Yardley. »Ich glaube, Reuben hat Sie ziemlich schnell durchschaut.«
»Sie wollen mir doch nur drohen«, entgegnete er. »Sie kommen hierher, um auf mich loszugehen und mir zu drohen.«
»Diese Haarschneide-Geschichte hatte nichts mit Ihnen zu tun, habe ich recht?«, meinte Frieda.
»Welche Haarschneide-Geschichte?«
»Dafür sind Sie ein viel zu großer Narzisst«, fuhr Frieda fort. »Sie wollten Reuben beeindrucken, aber er hat Sie auflaufen lassen.«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Schon gut«, sagte Frieda, »ich habe erfahren, was ich wissen wollte.«
Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.
Jim Fearby faltete eine große Landkarte von Großbritannien auseinander. Da an der Wand kein Platz dafür war, breitete er sie auf dem Wohnzimmerboden aus und beschwerte die Ecken mit diversen Gegenständen: einer Tasse, einer Dose Bohnen, einem Buch und einer Bierdose. Dann zog er seine Schuhe aus, trat auf die Landkarte und starrte stirnrunzelnd auf sie hinunter. Schließlich steckte er eine mit einem Fähnchen versehene Nadel an den Fundort von Hazel Bartons Leiche. Eine zweite Nadel platzierte er dort, wo Vanessa Dale von dem Mann belästigt worden war, der möglicherweise einen silberfarbenen Wagen gefahren hatte. Das Foto, das sie ihm bei ihrem Treffen gegeben hatte, hängte er an die große Korkwand, neben die Aufnahme von Hazel Barton. Zwei ergeben noch kein Muster, dachte er – aber es ist ein Anfang.
25
D er einzige Patient, den Frieda noch regelmäßig zur Therapiestunde empfing, war Joe Franklin. Die meisten anderen warteten geduldig auf ihre Rückkehr oder fragten hin und wieder per E-Mail an, wann sie denn glaube, wieder einsatzfähig zu sein. Um einige machte sie sich Sorgen, sie drängelten sich mit ihren Qualen und Problemen allmählich zurück in ihr Bewusstsein. Ein paar würde sie wahrscheinlich nie wieder zu Gesicht bekommen. Sie hatte alle wissen lassen, dass sie in zwei Wochen, also Anfang Mai, in alter Frische loslegen wolle. Doch bis dahin begab sie sich bereits zweimal die Woche, oft auch häufiger, in ihre Praxisräume in dem Mietshaus in Bloomsbury. An diesem Morgen war sie froh gewesen über die Gelegenheit, ihr Haus zu verlassen, denn bereits um Viertel vor acht war Josef eingetroffen. Als Frieda sich auf den Weg gemacht hatte, war er gerade dabei, zwischen seinem Lieferwagen und dem Haus hin- und herzupendeln und jede Menge Material hineinzutragen, und hatte sie hinter einem Stapel von Schachteln angestrahlt.
Die Fenster ihrer Praxisräume gingen auf eine Ödnis hinaus, die ursprünglich als Bauplatz für neue Bürogebäude gedacht gewesen war, nun aber seit über einem Jahr brachlag. Mittlerweile tranken und schliefen dort Obdachlose, Schulkinder spielten Fußball oder bauten sich Verstecke, Füchse schlichen durchs Gebüsch, und aus der rissigen
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