Schwarzer Mittwoch
Würden Sie Ihre Beziehung mit Ihrer Frau als glücklich bezeichnen?«
Lennox zuckte leicht zusammen. Er musterte Karlsson aus schmalen Augen.
»Wie können Sie das überhaupt fragen? Sie waren doch an dem Tag hier, als es passierte. Sie haben uns alle gesehen. Sie haben gesehen, was uns angetan worden ist. Versuchen Sie gerade, irgendwelche wahnsinnigen Anschuldigungen gegen mich zu erheben?«
»Ich habe Ihnen lediglich eine Frage gestellt.«
»Dann gebe ich Ihnen darauf eine einfache Antwort, und die lautet: Ja, wir waren glücklich. Zufrieden? Und jetzt stelle ich Ihnen eine einfache Frage: Worauf wollen Sie hinaus?«
»Unsere Ermittlungen haben eine unerwartete Wendung genommen«, erklärte Karlsson. Dabei hatte er das Gefühl, neben sich zu stehen und sich selbst reden zu hören, und was er hörte, stieß ihn ab. Er sprach vor lauter Nervosität wie eine Maschine, weil er sich vor dem fürchtete, was gleich passieren würde …
Frieda reichte ihm eine Tasse Tee, aus der er mehrmals hintereinander trank, ehe er sie auf dem Tisch abstellte.
»Lieber Himmel, das habe ich jetzt gebraucht«, stöhnte er. »Kurz bevor ich es ihm sagte, kam ich mir vor wie in einem Albtraum. Es war, als stünde ich mit einem Stein in der Hand vor einer großen Fensterscheibe – mit einem schweren Stein, rund und kompakt wie ein Kricketball. Ich war im Begriff, ihn in das Fenster zu werfen, und während ich die glatte, intakte Scheibe betrachtete, wusste ich bereits, dass sie in wenigen Sekunden zerschmettert am Boden liegen und nur noch aus scharfkantigen Scherben bestehen würde.« Er betrachtete Frieda, während diese sich setzte. Ihren eigenen Tee hatte sie bisher noch nicht angerührt. »Wie du siehst, habe ich mich schon gebessert«, fuhr er fort. »Ich habe dich nicht schon von vornherein gebeten, das von mir benutzte Bild nicht zu analysieren und keine versteckten Bedeutungen hineinzulesen. Abgesehen davon, dass ich es jetzt doch tue. Aber du weißt schon, was ich sagen will.«
»Wie hat er reagiert?«, fragte Frieda.
»Du meinst, was ist passiert, als der Stein auf die Glasscheibe traf? Sie ist zerschmettert, das ist passiert. Er war völlig am Boden zerstört. Er hatte seine Frau verloren, und nun kam es ihm vor, als würde ich sie ihm ein weiteres Mal wegnehmen. Vorher hatte er wenigstens noch die schönen Erinnerungen an sie, aber nun war ich dabei, diese zu vergiften.«
»Du klingst viel zu sehr nach einem Therapeuten«, stellte Frieda fest.
»Und das sagst ausgerechnet du! Wie kann jemand zu sehr wie ein Therapeut sein?« Er nahm wieder einen Schluck Tee. »Je mehr wir uns alle wie Therapeuten verhalten und je mehr wir auf unsere Gefühle hören, umso besser.«
»Die einzigen Menschen, die sich wie Therapeuten verhalten sollten, sind Therapeuten«, widersprach Frieda, »und das auch nur, wenn sie arbeiten. Polizisten dagegen sollten sich verhalten wie Polizisten. Aber um auf meine Frage zurückzukommen: Hat er auf eine Weise reagiert, die relevant war für die Ermittlungen?«
Karlsson stellte seine Tasse ab.
»Zuerst wollte er es gar nicht wahrhaben und hat immer wieder beteuert, dass er die Hand für sie ins Feuer legen würde und wir uns irren müssten. Erst als Yvette ihm in allen Einzelheiten erklärte, was wir über Paul Kerrigan, die Wohnung und die Mittwochsrendezvous der beiden in Erfahrung gebracht hatten und wie lang das Ganze schon lief, musste er am Ende einsehen, dass wir recht hatten. Allerdings hat er dann weder geweint noch geschrien, sondern nur so einen leeren Blick bekommen.«
»Aber du hattest den Eindruck, dass er Bescheid wusste?«
»Schwer zu sagen. Ich weiß es einfach nicht. Ist es wirklich denkbar, dass er keine Ahnung hatte? Zehn, elf Jahre lang? Sie hat diesen Mann regelmäßig getroffen, mit ihm geschlafen. Wie kann es sein, dass er ihn nie an ihr gerochen hat – ihn nie in ihren Augen gesehen hat?«
»Du meinst, er müsste zumindest einen Verdacht gehegt haben?«
»Frieda, du sitzt doch Tag für Tag mit Leuten zusammen, die dir ihre dunkelsten Geheimnisse anvertrauen. Kommt dir da je in den Sinn, dass die ganzen Klischees über Beziehungen sich bewahrheiten? Wie es sich anfühlen soll, wenn man sich verliebt oder wenn man ein Kind bekommt, und dann, am Ende, wie es sich anfühlt, wenn man sich trennt. Das alte Klischee, dass man jahrelang mit jemandem zusammenleben kann und dann irgendwann begreift, dass man die betreffende Person überhaupt nicht kennt.«
»Von wem
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