Schwarzer Mittwoch
selbst erledigt sich das nicht.«
»Aber Sie haben doch eigene Kinder.«
»Nun ja, das Baby ist natürlich immer hier bei mir. Um die beiden anderen kümmert sich vorübergehend meine Schwägerin, wenn sie nicht im Kindergarten sind. Es handelt sich schließlich um einen Notfall«, fügte sie in vorwurfsvollem Ton hinzu, als hätte er das vergessen. Sie musterte ihn prüfend. »Ich nehme an, Sie wollen zu Russell.«
»Bestimmt haben Sie Ihrer Schwester sehr nahegestanden«, bemerkte Karlsson.
»Woraus schließen Sie das?«
»Sie helfen ihrer Familie, obwohl Sie selbst kleine Kinder haben. Das ist nicht selbstverständlich.«
»Ich betrachte das als meine Pflicht«, entgegnete sie. »Es ist nicht schwer, seine Pflicht zu tun.«
Karlsson musterte sie etwas genauer. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm gerade zu verstehen gab, wer hier das Sagen hatte.
»Haben Sie Ihre Schwester oft gesehen?«
»Wir leben drüben in Fulham. Ich habe mit meiner Familie alle Hände voll zu tun und außerdem einen ganz anderen Lebensrhythmus als Ruth. Wir haben uns gesehen, sooft es ging, und natürlich an Weihnachten … und Ostern.«
»Hat sie auf Sie einen glücklichen Eindruck gemacht?«
»Was spielt das für eine Rolle? Sie wurde von einem Einbrecher getötet, oder etwa nicht?«
»Wir versuchen nur, uns ein Bild vom Leben Ihrer Schwester zu machen. In welcher Gemütsverfassung war sie? Was meinen Sie?«
»Es ging ihr gut«, antwortete Louise knapp. »Mit meiner Schwester war alles in Ordnung.«
»War sie mit ihrem Familienleben zufrieden?«
»Haben wir eigentlich noch nicht genug gelitten?«, fragte sie, wobei sie erst Yvette und dann wieder Karlsson ansah.
»Müssen Sie jetzt unbedingt versuchen, irgendwelchen Schmutz auszugraben?«
Yvette setzte zu einer Erwiderung an, aber Karlsson warf ihr einen warnenden Blick zu, woraufhin sie sich ihre Bemerkung verkniff. Irgendwo im Haus begann das Baby zu schreien.
»Ich hatte ihn gerade so weit, dass er endlich schlief.« Louise stieß einen tiefen, leidend klingenden Seufzer aus. »Meinen Schwager finden Sie in seinem Zimmer, ganz oben.«
Das kleine Arbeitszimmer von Russell Lennox lag im hinteren Teil des Hauses, mit Blick auf den Garten. In dem Raum war kaum Platz für drei, Karlsson und Yvette mussten sich regelrecht hineinquetschen. Yvette lehnte sich an die Seitenwand, neben ein Poster von Steve McQueen mit einem Baseballschläger. Lennox saß an einem kleinen Schreibtisch aus Kiefernholz, auf dem ein Computer stand. Als Bildschirmschoner fungierte ein Familienfoto. Er und seine Lieben posierten an einem Meeresstrand vor blau leuchtendem Wasser und trugen alle Sonnenbrillen. Nach Karlssons Einschätzung war die Aufnahme bereits ein paar Jahre alt. Die Kinder wirkten kleiner, als er sie in Erinnerung hatte. Bevor er zu sprechen begann, musterte er sein Gegenüber eindringlich, um sich ein Bild von seinem Zustand zu machen. Lennox wirkte beherrscht, war frisch rasiert und trug ein ordentlich gebügeltes blaues Hemd, offenbar das Werk seiner Schwägerin.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Karlsson.
»Haben Sie es noch nicht gehört?«, entgegnete Lennox. »Meine Frau ist ermordet worden.«
»Genau deswegen erkundige ich mich nach Ihrem Zustand – weil ich mir Sorgen um Sie mache. Ich möchte wissen, wie es Ihnen und Ihren Kindern geht.«
Lennox sah Karlsson nicht an, sondern starrte auf den Teppich, als er ihm schließlich in wütendem Ton antwortete.
»Falls es Sie wirklich interessiert: Dora hat Angst, in die Schule zu gehen, Judith weint die ganze Zeit, und an Ted komme ich überhaupt nicht mehr ran, er spricht einfach nicht mit mir. Ihr Mitleid brauche ich trotzdem nicht. Ich will nur, dass das alles endlich zu einem Abschluss kommt.« Jetzt hob er den Kopf und fixierte Karlsson. »Sind Sie hier, um mich über den Stand der Ermittlungen zu informieren?«
»Sozusagen«, antwortete Karlsson, »aber ich muss Ihnen auch ein paar Fragen stellen.« Er wartete einen Moment, weil er behutsam vorgehen wollte, doch Lennox reagierte nicht. »Wir versuchen, uns ein möglichst vollständiges Bild vom Leben Ihrer Frau zu machen.« Sein Blick wanderte zu Yvette. »Manche meiner Fragen werden Ihnen vermutlich zu intim erscheinen.«
Lennox rieb sich die Augen, als müsste er erst richtig wach werden.
»Das tangiert mich alles nicht mehr«, erklärte er. »Fragen Sie mich, was Sie wollen. Machen Sie, was Sie wollen.«
»Gut«, antwortete Karlsson. »Gut, dann also eine Frage:
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