Schwarzer Mittwoch
dass Sie hier leben«, fuhr Frieda unbeirrt fort. »Sie haben hier weder ein Bild aufgehängt noch einen Teppich am Boden ausgelegt. Es liegt ja noch nicht mal ein Buch von Ihnen herum. Sie sind sogar angezogen, als wären Sie draußen.«
»Wie Sie bestimmt selbst feststellen können, ist es hier drinnen ziemlich kalt. Ich verspreche Ihnen, dass ich meine Jacke ausziehe, sobald der Handwerker die Heizung repariert hat.«
Frieda zückte ein Notizbuch, schrieb etwas auf eine freie Seite, riss sie heraus und reichte den Zettel Singh.
»Wenn Sie mir etwas darüber erzählen wollen, was Sie bei Ihrem Auftritt als Psychopath zum Besten gegeben haben – ich meine, abgesehen von den Punkten auf der dämlichen Checkliste –, dann können Sie mich unter dieser Nummer erreichen.«
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, stieß Singh wütend hervor, während Frieda bereits am Gehen war.
Ian Yardleys Wohnung lag in einer kleinen Gasse, ganz in der Nähe eines Straßenmarkts. Zur Themse war es ebenfalls nicht weit, obwohl man sie nicht sehen konnte. Nachdem Frieda geklingelt hatte, drang aus der Sprechanlage erst ein Geräusch, das sie nicht identifizieren konnte, und dann ein Knattern. Sie drückte gegen die Tür, die sich aber noch nicht öffnen ließ. Aus der Sprechanlage kam wieder dieses seltsame Geräusch, gefolgt von weiterem elektronischen Geknatter. Dann hörte sie ein Klicken, und die Tür ging auf. Frieda stieg ein paar mit Teppich ausgelegte Stufen zu einem Treppenabsatz hinauf, von dem zwei Wohnungstüren abgingen, gekennzeichnet mit den Ziffern eins und zwei. Tür eins öffnete sich, und eine dunkelhaarige Frau spähte heraus.
»Ich habe eine Verabredung mit …«
»Ich weiß«, fiel ihr die Frau ins Wort, »auch wenn ich keine Ahnung habe, was das soll. Sie kommen wohl besser herein, aber nur für eine Minute.«
Frieda folgte ihr. Yardley saß an einem Tisch, die Abendzeitung und ein Bier vor sich. Er hatte langes, lockiges Haar und eine Brille mit einem eckigen, transparenten Gestell. Bekleidet war er mit einem College-Sweatshirt und einer dunklen Hose. Frieda registrierte, dass er barfuß war. Er wandte sich ihr zu und lächelte.
»Wie ich höre, belästigen Sie das ganze Team«, sagte er.
»Ich glaube, Sie haben meinen alten Freund Reuben besucht«, gab Frieda zurück, ohne auf seine provozierende Bemerkung einzugehen.
»Den berühmten Reuben McGill«, bestätigte er. »Ich muss sagen, dass ich ein bisschen enttäuscht von ihm war. Bei unserem Gespräch kam er mir vor, als hätte er seine ganze Energie verloren. Ich hatte das Gefühl, dass er überhaupt nicht auf das reagierte, was ich sagte.«
»Wollten Sie denn überhaupt eine Reaktion?«, konterte Frieda.
»Was für ein Schwachsinn!«, mischte sich die Frau von hinten ein.
»Ach, Sie müssen entschuldigen«, meinte Ian. »Ich bin kein guter Gastgeber. Das ist meine Freundin Polly. Sie findet, ich hätte Sie nicht hereinlassen sollen. Polly ist misstrauischer als ich. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Bier? Wir haben auch eine offene Flasche Weißwein im Kühlschrank.«
»Nein, danke.«
»Nicht, solange Sie im Dienst sind?«
Frieda fing an, ihm die gleichen Fragen zu stellen wie Rajit, kam aber nicht sehr weit, weil Polly sie ständig unterbrach und fragte, was das alles solle, während Ian bloß weiterlächelte, als genösse er das Spektakel. Plötzlich aber erstarb sein Lächeln.
»Eines möchte ich von vornherein klarstellen«, erklärte er. »Wenn dieser Besuch zu irgendeinem erbärmlichen Racheplan gehört, dann verschwenden Sie nur Ihre Zeit. Das wurde alles vorab von der Ethikkommission geklärt, und uns wurde zugesichert, dass wir mit keinerlei strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten. Ich kann Ihnen gern das Kleingedruckte zeigen, falls es Sie interessiert. Mir ist klar, dass es peinlich ist, wenn auf eine solche Weise demonstriert wird, dass der Kaiser keine Kleider trägt – jedenfalls peinlich für den Kaiser oder in diesem Fall die Kaiserin.«
»Wie ich bereits zu erklären versuchte«, antwortete Frieda, »bin ich nicht hier, um über das Experiment zu diskutieren. Ich bin …«
»Ach, ersparen Sie uns doch diesen Mist!«, fiel ihr Polly ins Wort.
»Wenn Sie so freundlich wären, mich aussprechen zu lassen, würde ich gern ein paar Fragen stellen, und dann gehe ich wieder.«
»Was soll das heißen, ›und dann gehe ich wieder‹? Als hätten Sie irgendein Recht, hier zu sein! Ich habe eine bessere
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