Schwarzer Mittwoch
Teppich und das gestreifte Sofa. Auf dem Kaminsims standen Narzissen, durch einen Spiegel verdoppelt. Yvette erhaschte einen Blick auf ihr eigenes Spiegelbild – ihr rundes, gerötetes Gesicht mit den trockenen Lippen. Sie befeuchtete sie mit der Zunge.
Elaine Kerrigan nahm Platz und forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihrem Beispiel zu folgen. Sie legte die langen, schmalen Hände in den Schoß und hielt sich kerzengerade.
»Ich habe überlegt, wie ich mich verhalten soll«, begann sie. Ihre Stimme klang tief und angenehm. Yvette glaubte ein leicht gerolltes R herauszuhören, konnte den Akzent aber nicht recht einordnen. »Mir erscheint das alles so irreal. Ich weiß, dass ich die betrogene Ehefrau bin, fühle mich aber gar nicht so. Es ist einfach …« Sie starrte einen Moment auf ihre Hände hinunter, ehe sie den Blick wieder hob. »Paul kommt mir überhaupt nicht wie der Typ Mann vor, den sich eine andere als Geliebten aussuchen würde.«
»Wann hat er es Ihnen gesagt?«, fragte Yvette.
»Als er gestern nach Hause kam. Er hat gewartet, bis sein Tee auf dem Tisch stand, dann ist er damit herausgeplatzt. Erst dachte ich, er macht nur Spaß.« Sie zog eine Grimasse. »Verrückt, oder? Ich kann gar nicht glauben, dass mir das wirklich passiert. Und nun ist diese Frau tot. Hat er Ihnen erzählt, dass ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe, als ich den Bericht in der Zeitung las? Ich fand, dass sie nett aussah. Jetzt frage ich mich, ob sie irgendwann auch mal einen Gedanken an mich verschwendet hat, während der ganzen Zeit.«
»Uns ist klar, dass das ein Schock für Sie sein muss«, sagte Yvette. »Trotzdem sind wir natürlich gezwungen zu überprüfen, wo sich alle beteiligten Personen an dem Tag aufhielten, als Ruth Lennox starb.«
»Mein Mann, meinen Sie? Das weiß ich nicht mehr. Ich habe im Terminkalender nachgesehen, aber die Seite ist leer. Es war nur ein ganz normaler Mittwoch. Paul sagt, dass er um die Zeit definitiv schon hier war, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wer von uns beiden eher nach Hause kam, er oder ich. Ich weiß nicht, ob er später dran war als sonst. Wenn irgendetwas Ungewöhnliches passiert wäre, hätte ich es mir wahrscheinlich gemerkt.«
»Was ist mit Ihren Söhnen?«
Sie wandte den Kopf. Karlsson und Yvette, die ihrem Blick folgten, entdeckten neben den Narzissen ein Foto von zwei Jungen, fast schon jungen Männern, die beide dunkles Haar und das breite Gesicht ihres Vaters hatten. Einer der beiden hatte über der Oberlippe eine Narbe, die sein Lächeln ein wenig schief wirken ließ.
»Josh studiert in Cardiff. Er kam zwar über Ostern nach Hause, war zu dem Zeitpunkt aber noch nicht da. Der andere, Ben, ist achtzehn und macht dieses Jahr sein Abitur. Er wohnt noch bei uns. Im Hinblick auf Daten ist er ein bisschen chaotisch – und in jeder anderen Hinsicht auch. Ich habe den beiden noch nichts von der Affäre erzählt. Anschließend kann ich ihnen ja gleich von dem Mord berichten. Das wird sicher lustig. Wie lang ging das eigentlich?«
»Bitte?«
»Wie lang lief das mit den beiden schon?«
»Hat Ihnen Ihr Mann das nicht gesagt?«
»Er hat gesagt, dass es mehr war als nur eine Affäre, aber dass er mich immer noch liebt und hofft, dass ich ihm verzeihe.«
»Zehn Jahre«, sagte Yvette in ruhigem Ton. »Die beiden haben sich immer am Mittwochnachmittag getroffen. Sie hatten eine Wohnung gemietet.«
Elaine Kerrigan setzte sich noch aufrechter hin. Gleichzeitig schien ihr Gesicht seine Spannung zu verlieren, ihre Haut von einer Sekunde auf die andere zu erschlaffen.
»Zehn Jahre.« Sie hörten, wie sie schluckte.
»Sie hatten keine Ahnung?«
»Zehn Jahre, mit einer Wohnung.«
»Wir werden hier auch eine Hausdurchsuchung durchführen lassen müssen«, erklärte Yvette.
»Verstehe.« Die Stimme von Elaine Kerrigan klang immer noch höflich, war aber so leise geworden, dass man sie kaum noch verstand.
»Ist Ihnen an seinem Verhalten nichts Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Sie meinen, während der letzten zehn Jahre?«
»Vielleicht während der letzten paar Wochen?«
»Nein.«
»Er wirkte nicht durcheinander oder zerstreut?«
»Ich glaube nicht.«
»Ihnen war nicht bekannt, dass für die Miete der Wohnung monatlich mehrere hundert Pfund vom Konto ihres Mannes abgebucht wurden?«
»Nein.«
»Sie sind ihr nie begegnet?«
»Der anderen Frau?« Sie bedachte sie mit einem müden Lächeln. »Ich glaube nicht. Aber sie hat in der Nähe gewohnt, nicht wahr?
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