Schwarzer Mittwoch
so war das nicht. Vielleicht liegt es am Alter. Mein Leben kam mir plötzlich so einförmig vor. Nichts bewegte sich mehr, nichts passierte – jedenfalls nichts Aufregendes. Vielleicht hat Ruth das genauso empfunden.«
»Vielleicht«, antwortete Yvette. »Aber hat Ihre Frau gewusst, dass Sie trinken?«
»Was hat das mit der Tatsache zu tun, dass sie tot ist? Glauben Sie, ich habe sie getötet, weil sie hinter mein peinliches Geheimnis gekommen war?«
»Sie wusste es also?«
»Sie hatte zumindest einen Verdacht. Sie hatte ein gutes Gespür für die Schwächen ihrer Mitmenschen.«
»Also wusste sie Bescheid.«
»Irgendwann ist ihr meine Alkoholfahne aufgefallen. Sie hat richtig verächtlich darauf reagiert – ganz schön dreist, nicht wahr, wenn man bedenkt, was sie selbst während der ganzen Zeit getrieben hat.«
»Wovon Sie ja nichts wussten, wie Sie behaupten.«
»Das behaupte ich nicht, sondern es war so. Ich hatte keine Ahnung.«
»Trotzdem sind Sie immer noch der Meinung, eine gute Ehe geführt zu haben?«
»Sind Sie verheiratet?«
Yvette spürte, wie sie rot anlief. Sie spürte die Hitze am Hals und im Gesicht. Einen Moment lang sah sie sich durch seine Augen: eine stämmige, dunkelhaarige, einsam wirkende Frau mit großen, linkischen Füßen und kräftigen Händen, an denen sie keinen Ring trug.
»Nein«, antwortete sie kurz angebunden.
»Keine Ehe sieht gut aus, wenn man anfängt, nach den Problemen zu graben. Bis jetzt hätte ich gesagt, dass wir uns zwar gelegentlich stritten und einander manchmal zu wenig schätzten, alles in allem aber eine gute, solide Ehe führten.«
»Und jetzt?«
»Jetzt ergibt überhaupt nichts mehr einen Sinn. Alles liegt in Scherben, und ich kann Ruth nicht mal mehr fragen, warum.«
Frieda war gerade erst nach Hause gekommen, als es klingelte. Vor der Tür standen zwei uniformierte Beamte, ein Mann und eine Frau.
»Sind Sie Frau Doktor Frieda Klein?«, fragte der Mann.
»Hat Karlsson Sie geschickt?«, erwiderte Frieda. Die beiden Beamten sahen sich fragend an.
»Tut mir leid«, antwortete der Mann, »aber ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Warum sind Sie hier?«
»Können Sie uns bestätigen, dass Sie Frau Doktor Frieda Klein sind?«
»Ja, das kann ich. Gibt es irgendein Problem?«
Der Beamte runzelte die Stirn.
»Ich muss Sie darüber informieren, dass wir Sie im Zusammenhang mit einem angeblichen Fall von Körperverletzung vernehmen müssen.«
»Was für einem Fall denn? Geht es da um eine Zeugenaussage?«
Der Beamte schüttelte den Kopf.
»Wir kommen auf eine Anzeige hin, bei der Sie als Täterin genannt wurden.«
»Von was um alles in der Welt reden Sie?«
Die Frau warf einen Blick in ihr Notizbuch.
»Waren Sie am siebzehnten April in der Marsh Side Nummer vier, Wohnung Nummer eins, anwesend?«
»Wie bitte?«
»Sie wird derzeit von Mister Ian Yardley bewohnt …«
»Ach du lieber Himmel!«, stieß Frieda aus.
»Sie geben also zu, dort gewesen zu sein?«
»Ja, ich gebe zu, dass ich dort war, aber …«
»Wir müssen mit Ihnen über die Sache sprechen«, fiel der Mann ihr ins Wort, »allerdings nicht hier vor der Tür. Wenn Sie möchten, fahren wir gleich mit Ihnen aufs Revier. Dort können Sie in einem unserer Befragungsräume Ihre Aussage machen.«
»Wäre es nicht möglich, dass Sie einfach hereinkommen und wir das gleich hier klären?«
»Zumindest können wir Ihnen schon mal ein paar Fragen stellen«, antwortete der Mann.
Mit ihren dicken Uniformen ließen die beiden Friedas Haus plötzlich viel kleiner wirken. Verlegen nahmen sie Platz, als wären sie es nicht gewöhnt, sich in Innenräumen aufzuhalten. Frieda setzte sich ihnen gegenüber. Sie überließ es den beiden, das Gespräch zu eröffnen. Der Mann nahm seine Kopfbedeckung ab und legte sie auf die Armlehne des Sessels. Er hatte rotes, lockiges Haar und helle Haut.
»Uns wurde berichtet, es sei zu einem Vorfall gekommen«, begann er, während er ein Notizbuch aus der Seitentasche seiner Jacke zog, es langsam aufschlug und dann inspizierte, als sähe er es zum ersten Mal. »Ich muss Sie gleich zu Anfang darüber informieren, dass wir wegen eines tätlichen Angriffs ermitteln, zusätzlich aber auch wegen eines Falls von Körperverletzung.«
»Welcher Körperverletzung denn?«, fragte Frieda, die sich sehr bemühen musste, ruhig zu bleiben. Gleichzeitig versuchte sie sich das Ganze ins Gedächtnis zu rufen. War es denkbar, dass die Frau sich bei ihrem Sturz den Kopf
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