Schwarzer Mittwoch
Vielleicht bin ich ihr ja doch mal über den Weg gelaufen.«
»Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie in Erfahrung bringen könnten, wann genau Sie und Ihr Mann an dem Mittwoch nach Hause gekommen sind – vielleicht, indem Sie Ihre Arbeitskollegen fragen.«
»Ich werde mein Möglichstes tun.«
»Wir finden allein hinaus.«
»Ja. Danke.«
Sie stand nicht auf und sah ihnen auch nicht nach, als sie gingen, sondern blieb in kerzengerader Haltung und mit ratloser Miene auf dem Sofa sitzen.
»Sollen wir noch etwas trinken gehen?«, wandte Yvette sich an Karlsson und bemühte sich dabei um einen beiläufigen Ton – als wäre es ihr egal, ob er Ja oder Nein sagte. Sie hörte selbst, wie kratzig ihre Stimme klang.
»Ich nehme mir den Rest des Tages frei und komme morgen nicht ins Büro, deswegen …«
»Schon gut, war ja nur ein Vorschlag. Ich wollte nur noch erwähnen, dass Frieda angerufen hat.«
»Weswegen?«
Als Yvette ihm von Friedas Vernehmung durch die Polizei erzählte, musste er zunächst lächeln, wirkte am Ende aber eher genervt.
»Ich habe ihr gesagt, sie soll mit Ihnen darüber reden«, fügte Yvette hinzu, »aber sie meinte, Sie hätten wahrscheinlich die Nase voll von ihren Eskapaden. Sie wissen schon, nach der anderen Sache mit Rundell.«
»Was ist das nur mit ihr?«, ereiferte sich Karlsson. »Es gibt Nachtklubtürsteher, die seltener in eine Schlägerei geraten als sie.«
»Sie sucht sich das ja nicht immer aus.«
»Das stimmt, aber egal, wo sie hingeht, immer passiert irgendwas. Außerdem hat sie sich an Sie gewandt. Am besten, Sie führen ein paar Telefonate.«
»Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht damit belästigen.«
Karlsson zögerte einen Moment, während er ihr gerötetes Gesicht betrachtete.
»Und ich wollte Sie nicht anschnauzen. Ich versuche gerade, möglichst viel Zeit mit meinen Kindern zu verbringen«, erklärte er in sanftem Ton. »Die beiden gehen bald ins Ausland.«
»Das wusste ich nicht – für wie lange?«
Er stellte fest, dass er es ihr nicht sagen konnte. »Ziemlich lange.« Mehr brachte er nicht heraus. »Deswegen möchte ich die Zeit, die uns noch bleibt, so gut wie möglich nutzen.«
»Natürlich.«
Mikey hatte sich einen Kurzhaarschnitt verpassen lassen, der sich anfühlte wie eine weiche Bürste. Die Kopfhaut schimmerte durch, und man sah, dass seine Ohren ein wenig abstanden. Bellas Haar war ebenfalls geschnitten worden, so dass es ihr Gesicht nun als kurze Lockenmähne umrahmte. Sie wirkten dadurch beide jünger und schutzloser. Karlsson kam sich neben ihnen viel zu groß und massig vor. Wehmut stieg in ihm auf, als er sich hinunterbeugte und sie an sich drückte. Doch sie befreiten sich schnell wieder aus seinen Armen. Beide platzten fast vor Aufregung und Ungeduld. Sie wollten ihm von der Wohnung erzählen, in der sie leben würden: einer Wohnung mit Balkonen an beiden Seiten, einem Orangenbaum im Hof und einem Ventilator in jedem Zimmer, weil es im Sommer sehr heiß wurde. Sie hatten beide neue Sommersachen bekommen, Shorts, Kleider und Flipflops. Es regnete dort nur ganz selten, in Spanien fiel der Regen hauptsächlich in der Ebene. Nur ein paar Straßen von ihrer Wohnung entfernt gab es ein Schwimmbad, und an den Wochenenden konnten sie mit dem Zug an die Küste fahren. In ihrer neuen Schule mussten sie eine Uniform tragen. Sie konnten sogar schon ein paar Worte Spanisch: Puedo tomar un helado por favor und gracias und mi nombre es Mikey, mi nombre es Bella.
Karlsson lächelte unentwegt. Er wünschte, sie würden nie weggehen, und gleichzeitig wünschte er, sie wären schon weg, denn das Allerschlimmste war das Warten auf den Abschied.
28
A ls am nächsten Morgen Rajit Singh bei Frieda anrief, vereinbarte sie mit ihm ein Treffen in ihren Praxisräumen, die mittlerweile einen Großteil der Woche leer standen. Ihr roter Sessel war schon viel zu lange verwaist, ging Frieda durch den Kopf. Später hatte sie einen Termin mit Joe Franklin, da konnte sie gleich dableiben. Sie würde sich eine Weile ans Fenster stellen, auf die verlassene, von Gestrüpp überwucherte Baustelle hinausblicken und dabei den Schutt ihrer Gedanken durchsieben. So schnell, wie ihr verletztes Bein es zuließ, eilte sie durch die schmalen Gassen, das vertraute Gewirr der kleinen Läden. Sie hatte das Gefühl, einem Faden, der so dünn war wie der einer Spinne, durch ein dunkles, verwinkeltes Labyrinth zu folgen. Ihr war selbst nicht recht klar, warum sie diese Geschichte nicht
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