Schwarzer Mittwoch
erzählte?«
»Ich wollte Sie das nur wissen lassen, damit Sie sehen, dass nichts Aufregendes dahintersteckt. Es war nur eine blöde Geschichte – noch dazu eine völlig beliebige. Sie ist mir in dem Moment einfach eingefallen, und deswegen habe ich sie verwendet. Ich hätte auch alles Mögliche andere nehmen können – oder gar nichts.«
»Haben Sie irgendetwas daran verändert? Irgendwelche Einzelheiten?«
»Das weiß ich nicht mehr so genau.« Er verzog das Gesicht. »Wir lagen im Bett, und während Agnes mir übers Haar streichelte, stellte sie fest, wie lang es geworden sei, und dass es einen Schnitt vertragen könne. Sie fragte mich, ob sie es mir schneiden solle. Dann erzählte sie mir das mit ihrem Vater – zumindest glaube ich, dass es um ihren Vater ging. Ganz sicher bin ich mir da nicht mehr, es könnte auch jemand anderer gewesen sein. Jedenfalls hat sie darüber gesprochen, was für ein Gefühl es gewesen sei, diese Schere zu halten: ein Gefühl von Macht, zugleich aber auch Zärtlichkeit. Ich nehme an, das Ganze ist mir im Gedächtnis haften geblieben, weil es etwas so Intimes hatte. Obwohl sie mir die Haare dann doch nie geschnitten hat.«
»Die Geschichte beruhte also auf einer Erinnerung Ihrer Exfreundin.«
»Ja.«
»Agnes.«
»Agnes Flint – warum interessiert Sie ihr Name? Wollen Sie jetzt auch mit ihr sprechen?«
»Ich glaube schon.«
»Nicht zu fassen. Warum ist das für Sie so wichtig? Wir haben Sie zum Narren gehalten. Das tut mir inzwischen leid. Aber warum interessiert Sie das alles so sehr?«
»Kann ich ihre Nummer haben?«
»Sie wird Ihnen auch nichts anderes sagen als ich.«
»Eine Mailadresse würde auch schon reichen.«
»Vielleicht hatte Hal doch recht, was Sie betrifft.«
Frieda schlug ihr Notizbuch auf und drückte Singh einen Stift in die Hand.
»Ich gebe Ihnen die Nummer nur, wenn Sie ihr ausrichten, dass sie mich endlich mal zurückrufen soll.«
»Sie wird Sie nicht zurückrufen, nur weil eine andere Person ihr das sagt.«
Singh stieß einen tiefen Seufzer aus, griff nach dem Notizbuch und schrieb sowohl eine Mobilnummer als auch eine Mailadresse hinein.
»Zufrieden?«
»Danke. Darf ich Ihnen einen Rat geben?«
»Nein.«
»Sie sollten joggen gehen – ich habe in Ihrem Wohnzimmer Laufschuhe gesehen –, und danach sollten Sie duschen, sich rasieren, frische Sachen anziehen und Ihre kalte kleine Wohnung verlassen.«
»Das ist Ihr Rat?«
»Zumindest für den Anfang.«
»Ich dachte, Sie wären Psychotherapeutin.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Rajit.«
»Werden Sie Agnes wissen lassen, dass ich Ihnen gesagt habe …?«
»Nein.«
Jim Fearby frühstückte in der Raststätte neben dem Hotel, in dem er übernachtet hatte: eine Minipackung Cornflakes, ein Glas Orangensaft aus dem großen Saftbehälter, in dem eine Plastikorange wenig überzeugend auf und ab wippte, eine Tasse Kaffee. Anschließend kehrte er in sein Zimmer zurück, um seine kleine Reisetasche zu holen und sich die Zähne zu putzen, wobei er sich noch ein wenig Frühstücksfernsehen gönnte. Als er den Raum verließ, sah es dort wie immer aus, als hätte nie jemand darin übernachtet.
Inzwischen kam ihm sein Auto wie sein Zuhause vor. Nachdem er getankt hatte, vergewisserte er sich, dass er alles hatte, was er brauchte: sein Notizbuch und mehrere Stifte, seine Liste mit den Namen, zum Teil mit Telefonnummern und Adressen versehen, die Mappe mit allen wichtigen Informationen, die er am Vortag zusammengestellt hatte, die Fragen. Er ließ das Fenster herunter und rauchte eine Zigarette, die erste an diesem Tag. Dann programmierte er das Navi. Er befand sich nur neunzehn Minuten von seinem Ziel entfernt.
Sara Ingatestone lebte in einem Dorf, das ein paar Kilometer außerhalb von Stafford lag. Zwei Tage zuvor hatte er sie angerufen und mit ihr ein Treffen vereinbart: um halb zehn Uhr vormittags, nach ihrer Morgenrunde mit ihren beiden Hunden. Es handelte sich um Terrier, kleine, bissige, unfreundliche Kläffer, die nach seinen Knöcheln schnappten, als er aus dem Wagen stieg. Fearby war versucht, ihnen seine Aktentasche auf die Schnauzen zu knallen, aber Sarah Ingatestone stand bereits in der Haustür und beobachtete ihn, so dass er sich zwang, ein Lächeln aufzusetzen und Laute der Begeisterung von sich zu geben.
»Die beiden tun nichts!«, rief sie ihm entgegen. »Kaffee?«
»Das wäre wunderbar.« Er wich einem Terrier aus und steuerte auf sie zu. »Danke, dass Sie sich zu diesem Treffen
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