Schwarzer Mond: Roman
seinen Bankschließfächern deponierten, mussten sie gewusst haben, dass er sofort nach Nevada fliegen würde. Und sie mussten auch wissen, dass er ein potentiell gefährlicher Mann war. Sie würden es doch bestimmt nicht zulassen, dass er sozusagen auf ihrem eigenen Rasen unbeobachtet agierte. Und doch schienen sie genau das zu tun.
Mit gerunzelter Stirn ließ Jack den Motor an.
Auf dem Flug von New York nach Salt Lake City hatte er gründlich über die ganze Situation nachgedacht und mehrere ziemlich unausgegorene -Theorien bezüglich der Identität und der Intentionen seiner Gegner aufgestellt. Nun kam er zu dem Schluss, dass das, was tatsächlich passierte - oder nicht passierte -, viel seltsamer war als alles, was er sich ausgemalt hatte.
Niemand beobachtete ihn. Das war ihm unheimlich.
Unerklärliche Dinge waren ihm immer unheimlich. Wenn man eine Situation nicht verstehen konnte, so bedeutete das meistens, dass man etwas Wichtiges übersehen hatte, dass man auf einem Auge blind gewesen war. Und das konnte zur Folge haben, dass man eine Kugel verpasst bekam, gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartete.
Mit äußerster Wachsamkeit fuhr Jack Twist auf der State Route 51 in nördliche Richtung, bog dann nach Westen auf Kies- und Lehmwege ab und näherte sich auf diese Weise dem Tranquility Motel von hinten, anstatt offen über die I-80 zu kommen.
Zuletzt war er gezwungen, einfach querfeldein zu fahren, was nicht ganz ungefährlich war, denn es ging hier hügelabwärts zu den Ebenen. Sobald der Dreiviertelmond hinter Wolken hervorkam, schaltete Jack die Scheinwerfer aus und ließ sich nur vom Mondlicht leiten, und seine Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit.
Und dann sah er von einem Hügel aus das Tranquility Motel, einsame Lichter in einer weiten, dunklen Einöde, etwa zweieinhalb Kilometer südwestlich seines Standorts. Es war nicht so hell beleuchtet, wie Jack erwartet hatte; entweder gingen die Geschäfte schlecht, oder aber das Motel war ganz geschlossen.
Er beschloss, seinen Weg zu Fuß fortzusetzen, damit seine Gegner nichts von seinem Eintreffen merkten.
Er ließ die Beretta im Jeep und nahm statt dessen die Maschinenpistole mit, obwohl er eigentlich nicht mit Schwierigkeiten rechnete. Noch nicht. Seine Gegner, wer zum Teufel sie auch sein mochten, hatten ihn nicht hierhergelockt, nur um ihn zu töten. Wenn das ihr einziges Ziel gewesen wäre, hätten sie es auch in New York erreichen können. Trotzdem stellte er sich lieber auf Gewalttätigkeiten ein.
Außer der Maschinenpistole und einem Ersatzmagazin nahm er den Rucksack mit Lebensmitteln, ein batteriebetriebenes Richtmikrophon und das Star-Tron-Nachtsichtgerät mit. Er zog Handschuhe an und setzte eine Skimütze auf.
Der Fußmarsch machte ihm direkt Spaß. Es war ein kalter Abend, und die Windstöße ließen die Haut angenehm prickeln.
Weil er damit gerechnet hatte, in Nevada sofort untertauchen zu müssen, hatte er sich schon in New York entsprechend angezogen. Er trug hohe Wanderschuhe mit harten Gummisohlen und starkem Profil, lange Unterhosen und Jeans, einen Sweater und die Lederjacke mit dickem Steppfutter. Die Crew des gecharterten Lear war über seine Aufmachung etwas erstaunt gewesen, hatte ihn aber behandelt, als trüge er Smoking und Zylinder. Sogar ein hässlicher, leicht schielender Mann, der gekleidet war wie ein einfacher Arbeiter, flößte Respekt ein, wenn er es sich leisten konnte, einen Privatjet zu mieten.
Während Jack sich jetzt zu Fuß dem Motel näherte, kam von Zeit zu Zeit der Mond zwischen den Wolken hervor, und dann leuchteten die wenigen Schneeflecken, so als ragten Knochen aus der dunkleren Haut der höckerigen Hügel hervor; die nackte Erde, die Felsformationen, der Beifuss und das trockene Gras schimmerten milchig unter den Liebkosungen des Mondes.
Wenn er jedoch hinter Wolken verschwand, herrschte völlige Finsternis.
Schließlich gelangte Jack zu einem günstigen Beobachtungsposten am Südabhang eines Hügels, etwa 400 Meter hinter dem Motel. Er setzte sich und legte Maschinenpistole und Rucksack auf den Boden.
Das Star-Tron konnte vorhandenes Licht -Sternenlicht, Mondlicht, die natürliche Phosphoreszenz von Schnee und von gewissen Pflanzen, schwaches elektrisches Licht fünfundachtzigtausendfach verstärken. Durch die Linse dieser nützlichen Einrichtung verwandelte sich für Jack fast jede Nacht zumindest in graues Tageslicht.
Er stützte seine Ellbogen auf die Knie auf und richtete das
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