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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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einen konturenlosen grauen Nebel, so als fliehe sie in Todesangst durch eine amorphe Traumlandschaft. Sie musste auf dem Gehweg anderen Menschen ausgewichen sein oder sie zur Seite gestoßen haben, aber sie war sich dessen nicht bewusst. Sie war nur noch von dem Gedanken besessen zu entkommen. Sie rannte, so schnell sie nur konnte, obwohl niemand sie verfolgte, die Lippen zu einer Grimasse nackter Angst verzerrt, obwohl sie die Gefahr, vor der sie floh, nicht definieren konnte.
    Sie rannte. Rannte wie wahnsinnig.
    Sie war vorübergehend blind und taub.
    Völlig außer sich.
    Minuten später, als der Nebel sich lichtete, fand sie sich auf der Mount Vernon Street wieder, etwa auf halber Höhe des Hügels. Sie lehnte an einem schmiedeeisernen Geländer neben der Eingangstreppe eines ansehnlichen Hauses aus rotem Ziegelstein. Sie hielt zwei der Eisenstäbe so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel schmerzten, und sie presste ihre Stirn an die schwere Metallbalustrade wie eine schwermütige Gefangene an der Tür ihrer Zelle. Ihre Kehle brannte, und sie spürte heftige Stiche in der Brust. Sie war völlig verwirrt, konnte sich nicht daran erinnern, wie sie hierher gekommen war - so als wäre sie von den Wellen der Amnesie an ein fernes unbekanntes Gestade geschwemmt worden.
    Etwas hatte sie erschreckt.
    Aber was?
    Allmählich verging die Angst, ihr Atem wurde fast regelmäßig, und das rasende Herzklopfen ließ nach.
    Sie hob den Kopf, blinzelte und schaute sich, als die Tränen in ihren Augen getrocknet waren, bedächtig nach allen Seiten um. Sie blickte hoch und sah die nackten schwarzen Äste einer Linde und hinter dem skelettartigen Baum den grauen Novemberhimmel mit seinen tiefhängenden Wolken. Altertümliche eiserne Gaslaternen spendeten weiches Licht - sie wurden durch Solenoide entzündet, die den Wintermorgen wohl irrtümlich für den Einbruch der Abenddämmerung gehalten hatten. Ganz oben auf dem Hügel stand das Massachusetts State House, und am Fuße -an der Kreuzung Mount Vernon Street und Charles Street - herrschte dichter Verkehr.
    Bernsteins Delikatessengeschäft. Aber ja, natürlich. Es war Dienstag, und sie war im Laden gewesen, als ... als etwas passiert war.
    Was? Was war nur in Bernsteins Laden passiert? Und wo war ihre Einkaufstüte?
    Sie ließ das schmiedeeiserne Geländer los, hob ihre Hände und rieb sich mit den blauen Strickhandschuhen die Augen.
    Handschuhe. Nicht ihre, nicht diese Handschuhe. Der kurzsichtige Mann mit der Pelzmütze. Seine schwarzen Lederhandschuhe. Das war es, was sie so in Angst versetzt hatte.
    Aber weshalb war sie bei diesem Anblick hysterisch geworden? Was war nur so furchterregend an schwarzen Handschuhen? Von der anderen Straßenseite her beobachtete ein älteres Ehepaar sie aufmerksam, und sie fragte sich, was sie wohl getan haben mochte, um ihnen aufzufallen. Obwohl sie ihr Gehirn anstrengte, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wie sie auf den Hügel gekommen war. Die vergangenen drei Minuten - vielleicht auch mehr? - waren in ihrer Erinnerung völlig ausgelöscht. Sie musste in Panik die Mount Vernon Street hinaufgerannt sein. Und dem Gesichtsausdruck des Paares nach zu schließen, das sie anstarrte, musste sie sich äußerst seltsam aufgeführt haben.
    Verlegen wandte sie sich ab und begann zögernd, die Straße hinabzugehen. Am Fuße des Hügels, um die Ecke, sah sie ihre Einkaufstüte auf dem Gehweg liegen. Sie starrte längere Zeit auf das zerknitterte braune Paket hinab und versuchte, sich an den Moment zu erinnern, als sie es fallen gelassen hatte. Aber sie stieß nur auf grauen Nebel, auf völlige Leere.
    Was ist nur los mit mir?
    Einige Sachen waren aus dem Paket herausgefallen, aber nichts war aufgerissen. Sie sammelte alles auf.
    Bestürzt über ihren plötzlichen hysterischen Anfall, wollte sie sich mit weichen Knien auf den Heimweg machen, blieb aber nach wenigen Schritten stehen. In der frostigen Luft war ihr Atem deutlich zu sehen. Sie zögerte, kehrte um.
    Vor Bernsteins Delikatessengeschäft blieb sie stehen. Sie musste nur eine oder zwei Minuten warten, bis der Mann mit der Pelzmütze und der Schildpattbrille herauskam, eine Einkaufstüte im Arm.
    »Oh!« Er blinzelte überrascht. »Äh ... sagen Sie, habe ich mich eigentlich bei Ihnen entschuldigt? Als Sie so an mir vorbeistürzten, dachte ich, dass ich vielleicht nur die Absicht gehabt habe, mich zu entschuldigen, wissen Sie ...«
    Sie starrte auf seine rechte Hand im Lederhandschuh, mit der er

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