Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
einstigen Residenz des Earl of Salisbury am Soho Square. Ihr Name war Teresa Cornelys, und dank ihrer Verdienste um Luxus, Laster und die britische Einrichtungsindustrie erklärte man sie einst zur Kaiserin der Lüste.
Carlisle House wurde zum ersten Club Londons, der nur Mitgliedern zugänglich war. Gegen einen bescheidenen Mitgliedsbeitrag durfte man einen Abend in der Oper samt gutem Essen und, Gerüchten zufolge, Zerstreuungen intimerer Art genießen. Teresa ist die Begründerin der seither ungebrochenen Sohoer Tradition, die Leute in Scharen anzulocken, betrunken zu machen und dann auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Doch betrüblicherweise war sie im Gastgeben deutlich besser als im Buchhalten, und nach zwanzig Jahren, mehreren Bankrotten und einer Comeback-Tour starb sie einsam und mittellos im Schuldturm.
Der Aufstieg und Fall der Teresa Cornelys beweist drei Dinge: dass der Lohn der Sünde hoch ist, dass man, wenn es um die Oper geht, den Rat »Sag einfach nein« beherzigen sollte, und dass es in Finanzdingen stets klug ist, auf ein breites Portfolio zu achten. All das tat Gabriella Rossi, ebenfalls Italienerin, die 1948 im Kindesalter als Flüchtling nach England kam. Nach einer Karriere im Lumpenhandel eröffnete sie 1986 ihre erste Filiale von A Glimpse of Stocking, profitierte vom Lohn der Sünde, sagte nein zur Oper und sorgte dafür, dass ihre Investitionen gut verteilt waren. Sie starb 2003 als Dame Rossi, dank ihrer Verdienste um die Unsittlichkeit in den Adelsstand erhoben, und hinterließ eine kleine Kette von Dessousgeschäften.
Die Filiale in Soho wurde von einer mageren blonden Frau mit besorgniserregend dünnen Handgelenken geleitet, die einen nüchternen Hosenanzug trug, allerdings ohne Bluse. Sie wirkte ehrlich erheitert, als ich ihr meinen Dienstausweis zeigte, und obwohl sie sich nicht an Henry Bellrush erinnerte, lachte sie bei meiner Frage, ob er die Wäsche für sich selbst gekauft haben könnte, laut auf. »Das bezweifle ich. Dieses Korsagenmodell hat einen ›Vintage‹-Schnitt – das heißt, die Taille ist fünfundzwanzig Zentimeter enger als die Hüfte. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Mann das tragen könnte.«
In dem Laden standen kunstvoll arrangiert mehrere antike Vitrinen herum, die einen angenehm stilvollen Retro-Eindruck vermittelten. Auf diese Weise konnten selbst die Engländer den Anblick von Spitzenunterwäsche genießen, im sicheren Wissen, dass diese mit einer ironischen postmodernen Schleife drumherum geliefert wurde. An einer Wand hingen gerahmte Fotografien von Frauen, alle schwarzweiß oder in den ausgebleichten Farbtönen der sechziger Jahre. Die Frauen waren entweder so gut wie nackt oder trugen Korsagen und Spitzenhöschen der Art, die meinen Dad damals wahrscheinlich ziemlich unruhig gemacht hatten. Eines war Morleys berühmtes Porträt von Christine Keeler, wie sie nackt auf diesem ziemlich unbequem aussehenden skandinavischen Stuhl sitzt, die Lehne nach vorn. Manche waren mit Autogramm versehen. Einen der Namen kannte ich – Rusty Gaynor, die legendäre Königin der Stripperinnen Sohos in den Sechzigern.
Die Ladenchefin ging sorgfältig die Quittungen durch.
»Das war auf keinen Fall für einen Mann«, sagte sieschließlich. »Nicht in diesen Größen. Obwohl das Mädchen, den restlichen Käufen nach zu schließen, sicher keine Elfe war. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass die Sachen für die Bühne gekauft wurden.«
»Für die Bühne?«
»Eine Burlesque-Tänzerin. Ganz sicher. Wahrscheinlich eines von Alex’ Mädchen. Alexander Smith, inszeniert die Shows im Purple Pussycat. Sehr geschmackvoll.«
»Sie meinen eine Stripperin?«
»Meine Güte«, sagte die Managerin. »So dürfen Sie sie auf keinen Fall nennen.«
Der Unterschied zwischen Strippen und Burlesque lag, soweit ich sehen konnte, im Niveau.
»Bei uns gibt’s keine Stangen auf der Bühne«, sagte Alexander Smith, der Burlesque-Impresario. Er war ein dünner, fuchsgesichtiger Mann in einem beigen Anzug mit Siebziger-Jahre-Aufschlägen, aber – der Anstand setzt schließlich doch Grenzen – ohne schreiend bunte breite Krawatte. Stattdessen trug er eine pflaumenblaue Ascot-Krawatte, ein passendes Einstecktuch und vermutlich auch noch seidene Socken in der gleichen Farbe. Er war so tuntig aufgedonnert, dass es mich nicht weiter wunderte, dass er verheiratet war und Enkel hatte. Kein Schwuler hätte sich derartige Mühe mit seinem Aussehen geben müssen.
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