Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
stichprobenartig unauffällige Todesfälle, um sicherzugehen, dass die Befunde stimmen. Wahrscheinlich wenden Sie Mustererkennungssysteme an, um anomale Häufungen zu erkennen.«
Das hörte sich tatsächlich nach einer guten Idee an, aber ich argwöhnte, dass wir nichts dergleichen anwendeten. Eine der ersten Regeln der Polizei ist, dass der Ärger schon von allein kommt und man ihn nicht auch noch suchen sollte.
»Ich mache nur die Kleinarbeit.«
»Irgendwer muss immer die Kleinarbeit machen«, sagte sie. »Einen Keks?«
Es war die teure Sorte mit der dunklen Schokoglasur mit mehr als fünf Prozent Kakaobestandteilen.
Henry Bellrush hatte bei der Armee Kornett spielen gelernt. Er war ins Royal Corps of Engineers eingetreten und bis zum Major aufgestiegen, bevor er um die Jahrtausendwende seinen Abschied nahm.
»Wir haben uns in der Armee kennengelernt«, sagte Mrs. Bellrush. »Er war ein schneidiger Captain, ich auch, es war ungemein romantisch. In jenen Tagen war man als Frau draußen, sobald man heiratete, also habe ich die Uniform abgelegt.« Und sich im zivilen Leben ironischerweise im selben Arbeitsbereich wiedergefunden wie als Soldatin. »Nur viel besser bezahlt natürlich.«
Ich fragte, welche Art von Arbeit, aber Mrs. Bellrush erklärte, das könne sie mir nicht sagen. »Alles streng geheim, fürchte ich. Sie verstehen, das Gesetz über die Wahrung von Staatsgeheimnissen und so weiter.« Über den Rand ihrer Teetasse hinweg sah sie mich an. »Also, was möchten Sie über den Tod meines Mannes wissen?«
Wenn es jemals einen Menschen gab, der sein Rentnerdasein genossen hatte, dann Henry Bellrush – der Garten, die Enkel, die Auslandsurlaube und natürlich die Musik. Gemeinsam mit ein paar Freunden spielte er regelmäßig im hiesigen Pub – ausschließlich zum eigenen Vergnügen.
»Aber er ist in die Musikergewerkschaft eingetreten«, bemerkte ich.
»Ja, so war Henry. Er hatte sich ja auch von unten heraufgearbeitet und fühlte sich sein Leben lang solidarisch mit dem gemeinen Mann.«
»Sie haben in der Zeit vor seinem Tod nichts Ungewöhnliches an seinem Verhalten bemerkt?« Es war eine Standardfrage.
»Was zum Beispiel?« Das kam einen winzigen Tick zu abwehrend.
»Dass er abends lange wegblieb, ohne Erklärung verschwand, vergesslich wurde?« Sie verneinte alles. »Dass sein Umgang mit Geld sich änderte? Ungewöhnliche Quittungen oder Kreditkartenrechnungen?«
Hier kam eine Reaktion. Sie sah mich an und dann rasch weg.
»Er hat regelmäßig in einem Geschäft in Soho eingekauft«, sagte sie. »Er hat nicht versucht, es vor mir zu verheimlichen, und es stand alles auf seiner Kreditkartenabrechnung. Nach seinem Tod habe ich in seiner Geldbörse noch ein paar Quittungen gefunden.«
Ich fragte, aus welchem Laden.
»A Glimpse of Stocking.«
»Das Dessous-Geschäft?«
»Sie kennen es?«
»Ich bin schon daran vorbeigegangen.« Tatsächlich hatteich einmal etwa zehn Minuten lang ins Schaufenster gestarrt, aber gerechterweise muss man hinzufügen, es war drei Uhr morgens, ich war auf Streife, und mir war todlangweilig. »Sind Sie sicher, dass er nicht ein Geschenk für Sie gekauft hat?«
»Ich bin mir sicher, dass ich nie etwas so Gewagtes von ihm bekommen habe wie eine dunkelrote Aloetta-Korsage mit passendem Satinhöschen. Nicht dass ich abgeneigt gewesen wäre. Ein wenig schockiert vielleicht, aber nicht abgeneigt.«
Die meisten Leute reden nicht gern schlecht über Tote, selbst über Unmenschen, aber noch viel weniger über geliebte Angehörige. Sie neigen dazu, alles Schlechte, was der Tote je getan hat, zu vergessen, und warum auch nicht? Er wird es ja nie wieder tun. Daher hielt ich meine nächste Frage so neutral wie möglich.
»Glauben Sie, er könnte eine Affäre gehabt haben?«
Sie stand auf, trat an einen antiken Sekretär und holte einen Umschlag heraus. »Angesichts der Art seiner Käufe«, sie reichte ihn mir, »kann ich mir kaum etwas anderes vorstellen. Sie?«
Der Umschlag enthielt einen Stapel Quittungen, die meisten gewöhnliche gedruckte Kassenbons, ein paar aber handgeschrieben – absichtlich auf altmodisch getrimmt, vermutete ich. Auf diesen war oben das Logo A GLIMPSE OF STOCKING aufgedruckt.
Er könnte Transvestit gewesen sein, dachte ich, aber das behielt ich für mich.
Als Giacomo Casanova, der italienische Weiberheld schlechthin, in London ankam, fand er dort eine seinerEx-Geliebten und Kindsmütter im Carlisle House wohnend vor, der
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