Schwarzer Nerz auf zarter Haut
sich, entfaltete den Bogen und begann zu lesen. Zuerst tanzten die Buchstaben vor ihren Augen, sie mußte öfters absetzen, denn sie verstand überhaupt keinen Sinn in diesen herumwirbelnden Schriftzeichen. Dann aber war sie ruhig genug, den Brief zu lesen.
Er war erschütternd, denn er war wahr.
»Meine Liebste,
ich schreibe diesen Brief nicht aus New York, auch wenn der Stempel New York sein wird. Ich schreibe ihn in meiner Kabine, einer Luxuskabine Nr. 12 des herrlichsten deutschen Schiffes, der ›Ozeanic‹. Jetzt kann ich es Dir sagen, daß ich nicht nach Amerika geflogen bin, sondern drei Tage später mit diesem Schiff fuhr. Das war ein Wunsch des Ministeriums, um mögliche Agenten fremder Mächte abzuschütteln, die Interesse an meiner Erfindung haben könnten. Der Plan war gut, aber auch die anderen dachten so. Und so sitze ich hier auf dem Schiff und glaube, daß die Fahrt nach New York nicht so glatt verlaufen wird, wie wir dachten. Wenn Du diesen Brief erhältst, kannst Du sicher sein, daß ich wohlbehalten angekommen bin. Was mich in New York erwartet, weiß ich noch nicht. Aber sei beruhigt, ich werde gut beschützt. Die Fahrt über den Atlantik wird auch bald zu Ende sein. Dann nur noch wenige Tage, und ich habe es hinter mir und fliege zurück zu Dir … Ich küsse Dich –«
Lisa fiel der Brief aus der Hand. Sie starrte auf das Bullauge, hinter dem sie das Rauschen des Meeres hörte.
Das ist eine halbe Wahrheit, dachte sie. Es kann alles so sein, wie er schreibt – aber wer ist sie? Wer ist Sybilla Odenthal? Sie kam mit ihm aus dem Ministerium, sie fuhr mit ihm zur Godesburg, sie kam erst in Cherbourg an Bord, sie ist immer um ihn! Welche Rolle spielt diese Frau im Leben von Franz? Warum ist sie an Bord? Warum benehmen sie sich wie ein Liebespaar? Ist alles nur Theater? Gehört es zu ihrem Auftrag? Habe ich mich benommen wie eine alte, eifersüchtige, keifende Vettel?
Lisa sprang auf. Sie war bereit, ihren Mann zu fragen. Jetzt, ohne Zögern. Laß uns die Masken abnehmen, dachte sie. Laß das Leben wieder schön werden!
Sie setzte sich vor den Spiegel und reparierte ihr etwas verwischtes Aussehen. Dann zog sie sich um, nahm ein Kleid, das er kannte, das er selbst in München ausgesucht hatte und in dem er sie so gerne sah. Dann warf sie den Chinchilla um die Schultern und verließ ihre Kabine.
Wie wird er reagieren, dachte sie, als der Lift sie nach oben trug. Ich werde ihn zum erstenmal sprachlos sehen. Und ich werde laut lachen, weil er mich anstarren wird wie einen Geist. Und dann werden wir uns in die Arme fallen und alles um uns herum vergessen.
»Promenadendeck, Madame!« sagte der Liftboy in der roten Uniform. Lisa gab ihm ein Markstück und verließ den Aufzug.
Sie stand wie verloren in dem großen Vorraum und blickte den Seitengang hinunter. Die Abschlußtür stand offen, der Eingang zur Kabine 12 lag direkt vor ihr. Die goldene Zahl auf dem rötlichen Mahagoni blitzte im Deckenlicht.
Dr. Dahl! Dieser Gedanke fesselte Lisa plötzlich. Jetzt, an der Schwelle zur Wahrheit, waren die Gedanken an die vergangenen leidenschaftlichen Stunden wie ein bitterer Trank. Wie soll das alles werden, durchfuhr es sie. Er darf nie erfahren, was in der Kabine Dr. Dahls geschehen ist. Und Dr. Dahl selbst? Wird er verstehen, daß eine Frau den Himmel sucht, wenn sie in der Hölle steht?
Durch den langen Gang kamen Schritte. Lisa drückte sich in eine Nische, die die große Treppe zum Salon-Deck bildete. Es waren Männerschritte, sie hörte es am Klang. Wenn er an ihr vorbeikam, konnte sie so tun, als ordnete sie etwas an ihrem Kleid.
Die Schritte verstummten plötzlich, dafür hörte sie ein rhythmisches Klopfen. Dreimal kurz.
Lisa streckte den Kopf vor.
Vor der Tür seiner Kabine stand Hergarten und wartete. Sie sah, wie er noch einmal die Faust hob und klopfte.
Er klopft an seine eigene Tür. Er … klopft …
Die Tür ging auf, nur einen Spalt. Hergarten schlüpfte hinein. Dann hörte man das Umdrehen des Schlüssels.
Lisa lehnte den Kopf weit zurück an die Wand und starrte gegen die Decke. So schmal der Türspalt auch gewesen war, sie hatte es gesehen.
Sybilla Odenthal war in seiner Kabine. Sie hatte geöffnet. Und im Schein der Deckenlampe hatte es Lisa wie ein Faustschlag getroffen: Sie trug ein hauchzartes Nachthemd, und darunter blinkte ihr nackter Körper im grellen Licht.
Mit bebenden Händen holte Lisa den Brief aus ihrer Tasche. Sie zerriß ihn in winzige kleine Schnipsel und
Weitere Kostenlose Bücher