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Schwarzer Nerz auf zarter Haut

Schwarzer Nerz auf zarter Haut

Titel: Schwarzer Nerz auf zarter Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lido-Deck standen die Bootsbesatzungen und warteten. Wurde das Manöver bis zum letzten durchgeführt? Mußte man in die Boote, wurde man ausgeschwenkt und an der hohen Schiffswand heruntergelassen auf das Meer? Es sah fast so aus; die Matrosen rollten die Persennings ein und nahmen an den Taljen Aufstellung. Ein Glück, daß es ein sonniger Tag und die See nur leicht bewegt war.
    Aus der Tür zur Promenade kam Lisa. Sie trug über einem Hosenanzug ihre Schwimmweste und um den Kopf ein festverknotetes Tuch. In der Hand trug sie eine große Badetasche. Dr. Dahl war unter Deck. Er mußte sich um sein Hospital kümmern. Seine Krankenwärter und einige Stewards trugen leere Tragen nach oben, als wenn das Hospital mit Kranken belegt wäre. Auf dem Vorschiff versammelte sich die Besatzung. Köche, Metzger, Bäcker, Maschinisten, Matrosen, Boys, Schiffsjungen, Stauer, Funker, Hilfsarbeiter, Schreiner, Schlosser, Schneider, Büglerinnen, Stewardessen … die ganze unterirdische Stadt quoll aus dem Schiffsbauch; die Anonymen, die tausend Passagieren ein zufriedenes Leben verschafften. Hier wurden große, grellgelbe Schlauchboote aufgeblasen, große runde Rettungsinseln mit eingebauten Funkgeräten und Signalraketen.
    Sicherheit über alles! Wenn die ›Ozeanic‹ untergeht, braucht kein Mensch zu sterben. Für alle ist Platz! Es gibt keine ›Titanic‹ mehr, keine ›Andrea Doria‹. Die ›Ozeanic‹ rettet jeden.
    Bei Boot III stand Sybilla, ebenfalls mit einer Schwimmweste angetan. Hergarten wartete bei Boot VI. Man hatte Frauen und Kindern von den Männern getrennt, wie es üblich ist. Zuerst die Frauen und Kinder von Bord, das war schon immer so.
    Über das Gesicht Lisas glitt ein triumphierendes Lächeln. Mit großen, festen Schritten ging sie auf Sybilla zu und sagte laut: »Guten Morgen!«
    »Guten Morgen«, antwortete Sybilla. Ihre braunen Augen waren lauernd. So blickt ein Tier in der Gefahr, dachte Lisa. Und du bist in Gefahr, mein Seelchen, du stehst am Abgrund.
    Sie griff in eine offene Badetasche und holte langsam, damit es alle Umstehenden sahen, die goldene Abendtasche heraus. Mit einer großen Geste überreichte sie das goldfunkelnde Ding.
    »Das ist doch Ihre Tasche?« fragte sie dabei.
    Sybillas Augen wurden fast schwarz. Sie griff zu und fühlte sofort, daß die Pistole herausgenommen worden war.
    »Ja«, sagte sie. Ihr Lächeln war gefroren. »Ich danke Ihnen. Ich habe sie gestern irgendwo liegengelassen. Sie hatten sich nicht die Mühe machen brauchen, sie aufzuheben. Sie ist nicht viel wert.«
    »Das kann man nicht sagen.« Lisa lächelte zurück. Aber ihr Lächeln war voll tiefster Wonne. So kann nur eine Frau lächeln, die ihre Feindin am Boden sieht. »Auch wertlose Dinge können ein ganz indiviuelles Eigenleben haben …« Dann sah sie sich plötzlich um, als gehe sie Sybilla gar nichts mehr an. »Wo gehöre ich hin!« rief sie. »Steward, soll ich schwimmen?«
    »Boot I, Madame!« rief der II. Offizier mit der Liste. »Bitte!«
    Sybilla sah Lisa nach und drückte die Tasche an sich. Ihr Blick war kalt und abschätzend.
    Sie hat die Pistole, hieß dieser Blick. Und sie wird gnadenlos von diesem Wissen Gebrauch machen.
    Und plötzlich sprang ein Funke in ihr auf. Woher hatte sie die Tasche? Gefunden …? Das war unmöglich. Es gab keinen Winkel der beiden Decks, den Sybilla nicht in der Nacht abgesucht hatte.
    Wo hatte sie also gelegen? Von wem hatte sie die Tasche? Kannte sie den Mann im Smoking mit der schwarzen Halbmaske? War die Überreichung der Tasche eine neue Warnung? War es blanker Hohn?
    Welche Rolle spielte der Schiffsarzt Dr. Dahl?
    Wer war Dr. Dahl?
    Das Klingeln der Glocken und Schellen verstummte. Die Sirenen schwiegen. Die Übung schien geklappt zu haben.
    Sybilla sah auf ihre goldene Tasche. Der Funke in ihr wurde zum Feuer. Zum Brand. Zur Explosion.
    Dr. Dahl!
    Ihn müßte sie sich näher ansehen.
    Die Katastrophenübung lief weiter.
    Die Boote wurden zu Wasser gelassen, aber unbemannt, nur die Matrosen, die die Boote abseilten, waren darin. Über Deck rollte die Brandwache die langen Löschschläuche aus, in den Kabinengängen bezogen die Löschtrupps Stellung, tief unten im Bauch der herrlichen ›Ozeanic‹ gab es das Signal: Leck durch Eisberührung. Die Schotten wurden zugeworfen, die Notlenzpumpen, kontrolliert von den Ingenieuren, erwiesen sich als einsatzbereit … die schwimmende Stadt war bestens bewacht; das sollte das Manöver auch beweisen.
    Die Passagiere an Deck

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