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Schwarzer Nerz auf zarter Haut

Schwarzer Nerz auf zarter Haut

Titel: Schwarzer Nerz auf zarter Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nahmen die Übung mit Humor hin. In ihren Schwimmwesten wirkten sie plötzlich wie eine riesige Familie, die Unterschiede verwischten sich. Ob Millionär oder Küchenjunge: Wenn die ›Ozeanic‹ wirklich sinken würde, waren sie alle gleich im Kampf um das bißchen Leben.
    Graf Sepkinow erzählte von einem Schiffsunglück, das er auf dem Schwarzen Meer erlebt hatte. Siebenundzwanzig Tote, weil eine Panik ausbrach und alles übereinandertrampelte, wie eine wilde Herde Elefanten, die alles niederwalzt, was sich ihr in den Weg stellt. Sam Hopkins gab Kommandos an die Brandwachen, Sir Surtess hatte sich einen Klappstuhl geben lassen und saß unter den Davits. Fachmännisch beobachtete er das Wassern ›seines‹ Bootes. Er wäre kein Engländer gewesen, wenn er nicht als Jüngling auch zur See gefahren wäre. Indien, Singapore, mit einem Kreuzer Seiner Majestät. Er verstand etwas vom Ausbooten. In ihrem Rollstuhl saß Frau Michaelsen und blickte übers Meer. Es schien, als könnte man ihre Gedanken erraten: Warum sollen Sie mich im Notfall retten? Was ist der Welt verloren, wenn eine alte, lahme Frau im Atlantik untergeht? Ihre Pflegerin, Käthe Peine, stand bleich und stumm hinter dem Rollstuhl, ein fast blutleeres Geschöpf.
    Während über Deck alles mit militärischer Präzision ablief, kam es unter Deck zu einem Zusammenstoß.
    Die Kabinenstewards kontrollierten, genau wie im Ernstfall, ob alle Kabinen verlassen worden und die Passagiere an Deck gegangen waren.
    Ein großer Teil der Kabinen war abgeschlossen; mit ihren Zentralschlüsseln schlossen die Stewards auf und gingen schnell durch die verlassenen Räume. Dabei stellte sich heraus, daß nicht alle den Ernst der Übung erfaßt hatten. Neun Liebespaare wurden gestört und mußten wohl oder übel auch an Deck gehen. Selbst ein Paar auf der Hochzeitsreise mußte einsehen, daß Flitterwochen auf dem Meeresgrund nicht ideal sind.
    »Diese Übung findet unter den gleichen Voraussetzungen wie im Ernstfall statt«, sagte er Obersteward höflich. »Ich muß Sie bitten, meine Herrschaften, an Deck zu kommen und die Schwimmwesten anzulegen.«
    Der II. Steward vom Promenadendeck hatte wenig Arbeit. Alle Luxuskabinen waren verlassen – es blieben nur noch die Innenkabinen 18 und 19, die beide verschlossen waren. Ahnungslos steckte der Steward seinen Hauptschlüssel in das Schloß Nr. 19 und schloß auf. Aber die Tür öffnete sich nur einen Spalt. Im Innern der Kabine drückte sich ein Mann gegen die Tür. Eine tiefe Stimme knurrte: »Gehen Sie weg!«
    »Ich muß Sie bitten …« Der Steward sah auf die Tür, die wieder zuschlug. Er klopfte höflich und wartete. Als niemand antwortete, klopfte er härter. »Bitte, gehen Sie an Deck!« rief er. »Die Übung ist Pflicht für alle Passagiere …«
    Diese Russen, dachte er. Diese drei Lakaien des Grafen. Auch wenn es dem Alten gleichgültig ist, ob sie im Ernstfall absaufen: Sie müssen an Deck.
    Die Tür schwang auf. Durch die Spalte schlüpfte Shura Aitmanow und sah den Steward böse an. Die schrägstehenden Augen glitzerten.
    »Mach, daß du wegkommst, du Mißgeburt!« sagte er in einem rauhen Englisch. »Wir brauchen keine Kindermädchen.«
    »Alle Passagiere …« Der Steward wurde wütend. »Befehl des Kapitäns!« rief er.
    »Dein Kapitän kann uns das Ärschlein lecken!« sagte Shura dumpf. »Und nun geh, du Abortwischer!«
    Der Steward wollte noch etwas sagen, aber in den Augen des Tataren sah er einen Widerstand, den er nicht brechen konnte. Er wandte sich ab und lief zum nächsten Telefon. Von dort rief er den Oberzahlmeister an. Der gab die Meldung an den I. Offizier weiter, der das Hinaufhieven der Boote befehligte.
    »Danke, das werde ich schon machen«, sagte er. Er winkte dem II. Offizier und ging zu Graf Sepkinow, der in ein Gespräch mit Sir Surtess über Indien verwickelt war.
    »Was?« sagte der Graf und sah den Offizier ernst an. »Meine Diener wollen nicht? Gut, dann lassen Sie sie … Sollen sie absaufen.«
    »Darum geht es nicht, Herr Graf.« Der I. Offizier sah wie hilfesuchend auf Sir Surtess. »Im Ernstfall müssen alle an Deck.«
    »Das ist aber nur eine Übung, mein Lieber.«
    »Unter Katastrophenbedingungen.«
    Graf Sepkinow strich seinen langen, weißen Bart. »Bitte, verschonen sie mich mit Ihrer preußischen Korrektheit. Ich schone meine Diener nicht, sie haben jetzt ihre freien Stunden, wenn sie müde sind, lassen Sie sie ruhen.«
    »Ich muß aber darauf bestehen, Herr Graf …« Der I.

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