Schwarzer Nerz auf zarter Haut
wirken. Müdigkeit senkte sich über ihn. »Das kann ich Ihnen ehrlich beantworten, Doktor. Ein Wahnsinniger ist es nicht. Und es geschieht keinem Passagier etwas … nur ein paar bestimmten. Und die sind es gewöhnt, die rechnen damit, das ist Berufsrisiko. Dubois hatte eben Pech, das war alles.«
»Also wird auf dem Schiff eine politische Sache ausgetragen?«
»Wenn Ihre Verbände so gut sitzen, wie Sie fragen können … alle Achtung, Doktor. Umwickeln Sie mich weiter, ich übe das Schweigen.« Heinz Niehoff schloß die Augen. Kurz darauf schlief er ein. Er merkte nicht einmal, daß ihn zwei Sanitäter auf einer Trage ins Hospital schafften. Dort bekam er ein Einzelzimmer, das Dr. Dahl abschloß. Den Schlüssel steckte er in seine Tasche.
Dr. Dahl begann, Zusammenhänge zu ahnen. Und als er sie erkannte, wünschte er sich nichts sehnlicher, als bald in New York zu sein.
Aber bis dahin waren es noch dreieinhalb Tage und drei Nächte.
In den Speisesälen der ›Ozeanic‹ begann das Essen.
Weißgekleidete Stewards mit goldenen Schulterstücken trugen auf silbernen Tellern auf.
Filet of Turbot Dugleré. Masthähnchen Florida. Salate der Saison. Eisbombe-Ozeanic flambiert. Käseplatte.
Graf Sepkinow erhob sich galant, als Sybilla, etwas verspätet, an den großen Tisch kam. Er küßte ihr die Hand und sah sie mit strahlenden Augen an.
»Ich beglückwünsche Sie, Gnädigste!« sagte er und hielt ihre Hand fest. Sein Druck war hart. »Sie hatten einen erfolgreichen Morgen …«
»O ja, danke.« Sybilla lächelte herzlich zurück. »Ich habe meine verlorene Tasche wiedergefunden.«
Es wurde ein langes, fröhliches und fast familiäres Essen.
Sogar die drei livrierten Lakaien Sepkinows waren an ihrem Seitentisch. Aber sie aßen nichts; sie tranken Milch und husteten öfter unterdrückt, als hätten sie alle eine fatale Erkältung.
Am Nachmittag war Lisa allein. Dr. Dahl hatte im Hospital zu tun. Den Toten hatte er ihr gestanden, über den mißhandelten Niehoff schwieg er. Er spürte, daß es nicht gut war, Lisa in alles einzuweihen. Je mehr sie wußte, um so größer wurde auch die Gefahr für sie selbst. Ein unbedachtes Wort, eine Bemerkung, die die anderen nicht verstanden, wohl aber die, die es anging, und die dunklen Mächte auf diesem herrlichen, weißen Schiff würden sich auch um Lisa kümmern.
Das war nicht auszudenken und jagte Dr. Dahl eisige Schauer über den Rücken.
Um Niehoff kümmerte er sich wie eine Mutter um ihr verletztes Kind. »Die Übung hat einige Unfälle gebracht«, sagte er zu Lisa, die in seiner Suite wartete. »Ich habe alle Hände voll zu tun. So ist das nun, wenn man einen Arzt liebt.« Er küßte sie. »Überleg es dir! Vier Fünftel des Lebens mußt du mich an die Patienten abgeben.«
»Mir genügt das eine Fünftel, wenn es nur ganz mir gehört.«
»Ausschließlich dir.«
Sie küßten sich. Und dann lag ein langer Rest des Tages zwischen ihnen, an dem sie allein mit sich und ihren ureigensten Problemen waren.
Lisa hatte noch einmal gegen sich gekämpft, und sie hatte gesiegt. Der Drang, zu ihrem Mann in die Kabine zu gehen, ganz gleich, ob diese Sybilla bei ihm war oder nicht, mit ihm zu sprechen und ihn zu fragen: »Wo willst du bleiben? Bei mir, deiner Frau, oder bei ihr?« – diesen Zwang zur Wahrheit hatte sie unterdrückt. Ihr Stolz schob sich dazwischen und dann der Gedanke, bedrückend und belastet mit einem Schuldgefühl, daß alle diese Pläne nun sinnlos waren. Die Entscheidung war ja schon gefallen … in zwei Nächten, in denen sie in den Armen Dr. Dahls gelegen hatte. Das war nicht mehr rückgängig zu machen, das war etwas Endgültiges. Und es war nicht nur ein Racheakt gewesen – nein, als sie seine Liebe spürte, war auch ihr Herz dabei, gab sie alles, was eine Frau an Seele geben konnte. Sie träumte in seinen Armen, sie war unendlich glücklich, und sie gestand sich sogar, so eine Seligkeit von Liebe bei Franz Hergarten nie empfunden zu haben. Es war, als sei sie erst jetzt hier an Bord der ›Ozeanic‹, zur wirklichen Frau geworden, als sei etwas in ihr geweckt, aufgebrochen worden, was sie vorher nie gekannt hatte: das völlige Hinströmen im Glück.
Als sie das spürte, war ihr Franz Hergarten plötzlich wie ein Fremder geworden, wie eine Erinnerung an einen Mann, neben dem sie drei Jahre gelebt hatte, ohne genau zu wissen, wie er in Wahrheit ist. Drei Jahre des Erforschens ohne Entdeckung – das war es. Eine Ehe zwischen Laboratorium und
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