Schwarzer Purpur
geerbt zu haben, sonst hättest du in der Bank schon längst Karriere gemacht.
Da du ausgesprochen sentimental bist, möchtest du sicher hören, dass ich dich geliebt habe. Ja, Verena, ich habe dich geliebt im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ich konnte immer schon besser mit Zahlen umgehen als mit Menschen.
Ich wünsche dir Glück.
Deine Mutter
Was musste es sie Überwindung gekostet haben, diesen Brief zu schreiben! Ich blinzelte, als mich Trauer überfiel. Welche Verschwendung eines Lebens!
Ein empörtes Schnaufen und leichtes Rot auf Tante Hildes runden Wangen lenkte meine Aufmerksamkeit auf sie. Fragend hob ich die Brauen.
»Es war nicht nötig, mich so zu beleidigen«, stellte Tante Hilde mit leicht zitternder Stimme fest. »Ich hätte mich auch ohne Bezahlung für dich verantwortlich gefühlt.«
Ohne zu zögern griff ich nach ihrer Hand und drückte sie. »Ich weiß.«
Das leise Zuschnappen der Türklinke signalisierte, dass Notar Weydrich sich uns wieder anschloss. »Wie ich sehe, sind Sie fertig. Ich stehe Ihnen für Fragen gerne zur Verfügung.« Erwartungsvoll setzte er sich kerzengerade in seinem Sessel zurecht und verschränkte die Hände auf der Schreibtischplatte. Tante Hilde und ich sahen uns an. Sie biss sich nervös auf die Unterlippe und senkte den Blick auf das Blatt Papier, das sie so krampfhaft umklammerte wie etwas Kostbares, von dem man befürchtet, dass es einem weggenommen wird.
»Wie lange wird es dauern mit dem Geld?«, hauchte sie.
Mutter und ihr Notar hatten alles sorgfältig vorbereitet. Das freudige Strahlen, das sich auf Tante Hildes Gesicht ausbreitete, als sie erfuhr, dass sie innerhalb weniger Tage über ihre Erbschaft verfügen könne, sprach Bände.
»Wie schnell könnten Sie das Haus verkaufen?«, hörte ich mich zu meiner eigenen Überraschung fragen.
Dr. Weydrich hob die Brauen: »Wollen Sie einen solchen Schritt nicht noch ein wenig überdenken? Haben Sie konkrete Pläne?«
»Ja, die habe ich«, sagte ich mit fester Stimme, aber ich sah nicht ein, wieso ich ihn einweihen sollte. Aus dem Dunkel hinter seiner Schulter leuchtete ein kleiner feuerroter Fleck, ein Siegel auf einer alten Urkunde. Einen Moment hatte er für mich wie eine Kaktusblüte ausgesehen. Monika! Ich konnte ihr Angebot annehmen, das öde Einerlei der Bank hinter mir lassen.
Hatte Mutter etwa dergleichen geahnt, als sie mich so gut versorgt zurückgelassen hatte?
»Ich möchte mich verändern«, erklärte ich so kühl, als sei das eine Gewohnheit von mir. Dr. Weydrich hätte sicher gerne Einwände vorgebracht, aber er sah mir wohl an, dass ich fest entschlossen war. Das Haus, die zugehörigen Erinnerungen wollte ich so schnell wie möglich hinter mir lassen. Ironischerweise fühlte ich mich Mutter näher als je zuvor: Auch ich würde, wie sie, meine Vergangenheit abstreifen wie eine alte Haut, neu anfangen.
Wir einigten uns darauf, dass er einen Makler beauftragen würde, und um ihm etwas entgegenzukommen, willigte ich ein, dass das Haus nicht so schnell wie möglich, sondern so gut wie möglich verkauft werden sollte. Alles andere konnte warten. Ich brannte darauf, Monika anzurufen und ihr alles zu erzählen.
»Bist du sicher, dass es klug ist?« Tante Hildes Frage riss mich aus meinen rosaroten Wolken.
»Was meinst du?«, fragte ich verwirrt zurück.
»Nun, deiner Freundin alles zu sagen. Weißt du … ich bin mit meiner Wohnungsnachbarin ganz gut befreundet. Ihr geht es nicht so gut, mir geht es nicht so gut. Wir tun uns also hier und da zusammen, um zu sparen. Mal sorgt die eine für die Kartoffeln, die andere fürs Fleisch, und mal ist es umgekehrt. Was, glaubst du, würde passieren, wenn ich ihr sage, dass ich eine neue Rente dazubekommen habe?«
Vielleicht hatte Tante Hilde Recht. Wie würde Monika reagieren, wenn ich ihr erzählte, ich sei reich?
Ihre Warnung im Ohr fragte ich also nur, ob Monika mich immer noch als Prokuristin haben wollte, als ich sie am Nachmittag anrief.
»Natürlich, du Dummchen, sonst hätte ich dich doch nicht gefragt. Du kannst bei mir wohnen, bis du etwas Passendes gefunden hast. Und deine Pflanzen kannst du bei Alfons im Gewächshaus unterbringen – er wird begeistert sein.«
Nach dem Anruf bei Monika sah ich mich erleichtert um. In dem Bewusstsein, in den nächsten Tagen alles hinter mir zu lassen, konnte ich es mit anderen Augen betrachten. Schon gleich Morgen würde die Secondhandfirma der örtlichen Caritas kommen und alles ausräumen, was ich nicht
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