Schwarzer Purpur
behalten wollte. In der Küche hörte ich Klappern von Porzellan und Rascheln von Papier – Tante Hilde packte das Villeroy-&-Boch -Service ein. Ihr sehnsüchtiger Blick und das liebevolle Hantieren damit hatten nur zu deutlich signalisiert, dass es bei ihr in guten Händen sein würde.
Vor der nichts sagend elegant geschwungenen Eschenholzvitrine, in der Mutter die Tischwäsche aufbewahrt hatte, stapelten sich die prall gefüllten Kleidersäcke. Weder die perlgraue Alcantaragarnitur noch die Essgruppe in Kirschholzfurnier würde ich vermissen. Einzig den alten Ohrensessel mit dem durchgewetzten Rosenbezug in Gobelinstickerei und das vergoldete venezianische Tischchen hatte ich mit roten Aufklebern vom Abtransport ausgenommen. Beide standen selbstverständlich nicht im Wohnzimmer, sondern in meinem Hobbyraum hinter der Küche, der ursprünglich als Speisekammer vorgesehen war. Als ich begonnen hatte, für mein Herbarium Pflanzen zu sammeln und allerlei interessante Fundstücke mit nach Hause zu bringen, wollte Mutter nicht, dass ich sie in meinem Schlafzimmer aufbewahrte. Und so wurde die kaum benutzte »Speise« umfunktioniert zu meinem Reich. Hier kuschelte ich mich in den alten Sessel, blätterte in meinen Alben und träumte, ich sei eine bekannte Botanikerin, die von ihren aufregenden Reisen in die Urwälder Neuguineas Unmengen Pflanzen mitgebracht hätte.
Mein Bett und den großen Kleiderschrank müsste ich wohl notgedrungen mitnehmen, aber nicht den gesamten Inhalt! Kurz entschlossen griff ich mir eine Hand voll Kleidersäcke und riss die Schranktüren auf. Da hingen sie, eine nüchterne Wand aus Stoff – meine Kostüme. Ich zögerte nur einen Moment, dann wanderte eins nach dem anderen in den Plastiksack. Alle marineblauen, anthrazitgrauen, schiefergrauen, nebelgrauen Kostüme in Merino-Qualität, die weißen, beigefarbenen, perlgrauen adretten Blusen und Rollis zum Unterziehen. Es überkam mich wie ein Rausch, dieser Befreiungsschlag.
Der Anblick des nahezu leeren Schrankinneren ernüchterte mich allerdings doch ein wenig. Besaß ich wirklich nur zwei Jeans, fünf T-Shirts und drei Pullover in lebhaften Farben?
Es waren die Sachen, die ich während der Beschäftigung mit meinen Pflanzen trug. Mutter, selbst stets eine makellose Erscheinung, hatte in ihrer Umgebung »zumindest eine anständig gebügelte Bluse« verlangt.
Tante Hildes strahlendes Gesicht tauchte im Türrahmen auf. »Ich bin so weit fertig. Kann ich dir noch bei irgendetwas helfen? – Meine Güte …!« Ihre Augen wurden groß. »Ist es nicht ein bisschen leichtsinnig, all die guten Sachen wegzugeben? Vielleicht brauchst du sie einmal wieder?«
»Dann werde ich mir neue kaufen«, erwiderte ich entschlossener, als ich mich fühlte. »Und es werden ganz sicher keine in diesen Trauerfarben sein.«
Tante Hilde nickte verständnisvoll. »Ich habe selbst schon gedacht, du solltest lebhaftere Farben tragen. Ein kräftiges Rot würde dir wunderbar stehen.« Sie umarmte mich herzlich. »Ach, Verena, ich freue mich so für dich, dass du jetzt tun kannst, was dir Spaß macht!«
Mein Chef zeigte sich wenig erfreut, als ich am nächsten Morgen um eine kurze Unterredung bat und ihm erklärte, ich würde kündigen. Aufgrund meines im Lauf der Jahre angesammelten Urlaubs konnte ich die Bank tatsächlich mit sofortiger Wirkung verlassen. Er versuchte, mich umzustimmen, sprach von Kurzschlusshandlung und unüberlegten Panikreaktionen aufgrund meiner Erschöpfung: »Sie sollten eventuell erst einmal Urlaub nehmen und alles in Ruhe überdenken.« Vielleicht sei auch eine Gehaltserhöhung im Rahmen des Möglichen …
Vielleicht hatte er Recht mit der Kurzschlusshandlung, aber ich war die Tochter meiner Mutter, und mein Entschluss stand fest. Ich konnte es kaum erwarten, die unpersönliche, sterile Atmosphäre zu verlassen, in der ich mich immer als kleines austauschbares Rädchen gefühlt hatte. Heute immerhin hatte mein ungewöhnlicher Aufzug in Jeans und dem Jackett, das ich als letztes Zugeständnis an die steife Bankwelt angezogen hatte, bereits Aufsehen erregt.
Während ich meinen Schreibtisch räumte, konnte ich die Erleichterung meiner Kollegen fast körperlich spüren. Für sie bedeutete meine Kündigung wieder etwas Luft vor der nächsten Entlassungswelle.
Einer nach dem anderen kam leise und möglichst unauffällig, um mir zu kondolieren und alles Gute zu wünschen. Niemand interessierte sich allerdings dafür, was ich jetzt vorhatte.
Auf
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