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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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den größtenteils exotischen Zimmerpflanzen, die derzeit verlangt wurden, auf Kriegsfuß. Meine speziellen Kenntnisse hatten sich blitzschnell herumgesprochen und uns vermehrt Kunden mit kleinen und mittleren Orchideensammlungen beschert, die ihre Bestellungen und Einkäufe gerne mit einem Plausch unter Liebhabern verbanden.
    Ich hatte die Idee gehabt, Orchideen in die vorweihnachtliche Dekoration mit einzubeziehen, und sie entwickelte sich zu einem durchschlagenden Erfolg: Gut die Hälfte aller Kundinnen, die ein Adventsgesteck kauften, wollten »so eines wie die Frau Sowieso, mit diesen großen weißen Blüten«.
    Der Trick war, dass wir ganze Pflanzen verarbeiteten, nicht nur Blütenstiele. Orchideenpflanzen sind klein und gut zu verstecken. Der gut verpackte Wurzelballen fiel nicht auf, und bei regelmäßigem Besprühen hielten die zarten Blütenrispen mindestens so lange wie die gewohnten Weihnachtsnarzissen oder Rittersterne.
    Oft saßen Monika und ich bis spätabends zusammen, um den Verkaufsvorrat für den nächsten Tag zu binden. Ich liebte diese Stunden, obwohl meine Finger manchmal dagegen protestierten. Sie waren es nicht gewöhnt, mit stachligen Nadeln zu hantieren, und die zahllosen Stichwunden schmerzten besonders, wenn ich versuchte, die Harzreste mit allen möglichen Lösungsmitteln wie Azeton oder Spiritus zu entfernen.
    Monika lachte mich aus. »Spar dir die Mühe«, sagte sie spöttisch. »Kein Mensch erwartet von dir Vorzeigehände.«
    Bis auf die lästige Eigenschaft von frischem Harz, die Finger zu verkleben, mochte ich den würzigen Geruch der bernsteingelben Tropfen, die aus den frisch geschnittenen Nadelbaumzweigen sickerten. Speziell die Pinien rochen so sauber und streng, dass ich mich immer fragte, wieso Mutter sie nicht als Weihnachtsbaum entdeckt hatte.
    Ich selbst mochte die Nordmanntannen am liebsten. Nicht nur, weil ihre Nadeln vergleichsweise weich und harmlos waren, sondern auch ihres sanfteren Duftes wegen. Sie schienen weich und warm, sogar ihr Grün hatte einen satteren Ton.
    Wenn ich sah, dass Blaufichtenzweige auf uns warteten, ging ich sofort meine Handschuhe holen. Auf diese Abart der Stechfichte hätte ich gerne verzichtet, aber die Kundschaft verlangte explizit danach, weil sie wenig nadelte.
    An einem dieser Abende fragte Monika mich, wieso ich ausgerechnet Orchideen für mich entdeckt hatte. »Etwas Komplizierteres hättest du dir nicht aussuchen können. Warum nicht Kamelien oder Rosen? Die gelten doch auch als etwas Besonderes.«
    Ich überlegte, während meine Hände automatisch die Zweige zurechtbogen und mit Draht fixierten. »Ich glaube, das war es gerade – die Herausforderung«, erwiderte ich nachdenklich. »Weißt du, Kamelien waren mir nicht kompliziert genug, und Rosen haben so eine schrecklich lange Ruhezeit. Ich wollte etwas, was immer da ist und immer Aufmerksamkeit verlangt.«
    »Wie ein Haustier«, warf Monika ein. Sie hatte nicht Unrecht. Unbewusst hatte ich mir Pfleglinge ausgesucht, die konstante Fürsorge verlangten. Wie ein Haustier. Ich hatte mir als Kind natürlich immer einen Hund gewünscht, einen ständigen Begleiter und Freund. Etwas Lebendiges, das atmete, sich warm und weich anfühlte und auf mich reagierte. Natürlich hatte Mutter mir nie erlaubt, einen zu halten. Sobald ich begriff, dass sie dafür kein Verständnis aufbrachte, suchte ich mir bestmöglichen Ersatz. Die Notwendigkeit des ständigen Besprühens, Tauchens, Kontrollierens hatte mir eine Art Befriedigung verschafft. Und je mehr Erfahrung ich sammelte, desto besser wurde es.
    Als ich das erste Mal keimende Sämlinge zuwege gebracht hatte, hätte ich vor Stolz heulen können. Ich hatte mich sklavisch an die Anweisungen im Buch gehalten, auch wenn sie mir übertrieben theatralisch schienen. Die Bestäubung selbst war das Einfachste, aber danach hieß es warten. Es dauerte tatsächlich über ein halbes Jahr, bis die Samenkapsel reif war. Mit vor Aufregung zitternden Fingern transferierte ich den Samen mittels einer desinfizierten Nähröse auf den Nährboden in Reagenzgläser und verschloss sie mit sterilisierten Stopfen.
    Am liebsten hätte ich Tag und Nacht davor gesessen, um den Augenblick nicht zu verpassen. Nach über drei Wochen zeigte sich in einem der Reagenzgläser ein erster Keimling. Nach einem Monat hatte ich fünf Sämlinge zum Leben erweckt. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Samenkapsel zwischen zwei und drei Millionen Samen enthalten hatte. Ich fragte mich

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