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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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manchmal, wie diese kapriziösen Pflanzen in der Natur zurechtkamen. Aber egal. Für mich war es ein berauschendes Gefühl, meine winzigen Sämlinge zu betrachten. Als hätte ich sie erschaffen.
    Von den fünf überstanden vier die umständlichen Umsetzungen in größere Reagenzgläser, und nach einem Jahr wagte ich, sie in Erde zu pikieren. Monatelang galt mein erster Blick im Gewächshaus ihrem Zustand. Schienen sie gesund oder etwa eine Spur matt?
    Mutter runzelte die Stirn und sprach von ungesunder Hysterie. Es waren doch letztendlich nur Pflanzen!
    Eine von ihnen hatte letztes Jahr zum ersten Mal geblüht – nach drei Jahren. Ihre Blüten schienen mir seidiger zu schimmern als alle anderen, mit einem leisen Hauch Violett, aber das war vermutlich so etwas wie Elternstolz.
    »Ich kann nicht verstehen, dass deine Mutter das gut gefunden hat«, meinte Monika ungläubig. »Meine Güte, du warst auf dem besten Wege, eine vertrocknete alte Jungfer zu werden. Hat sie dich nie ermutigt, Männer kennen zu lernen?«
    »Fragst du das im Ernst?«, gab ich trocken zurück.
    »Nein, wie blöd von mir.« Monika kicherte. »Aber im Ernst, Reni, hast du in der ganzen Zeit nicht wenigstens eine kleine, geheime Affäre gehabt? Bei deinem Aussehen?«
    Ich dachte an Dieter, meine »kleine, geheime Affäre«. Unbewusst muss ich mein Gesicht verzogen haben, denn Monika hob fragend die Augenbrauen und sagte: »Offenbar war da etwas. Was ist daraus geworden?«
    Ich hatte es bereits Tante Hilde erzählt, also holte ich tief Luft und erzählte zum zweiten Mal die banale Geschichte von Dieter und mir. Ich beschönigte nichts. Meine damalige Demütigung schmerzte noch immer. Etwas von der Bitterkeit der Enttäuschung schlich sich in meine Stimme, und Monika wirkte bestürzt, als sie eine klebrige Hand auf meine nervös trommelnden Finger legte und sagte: »Es tut mir leid – es tut mir schrecklich leid für dich, aber solche Kerle gibt es leider massenhaft. Was hat deine Mutter dazu gesagt?«
    Ich warf ihr einen verständnislosen Blick zu. »Glaubst du ernsthaft, Mutter und ich hätten darüber gesprochen?« Seufzend lehnte sie sich in ihrem Holzstuhl zurück. »Ach ja, wie konnte ich nur annehmen, dass du es ihr erzählt hast … – Weißt du, ich habe früher immer gedacht, ihr wärt die seltsamsten Leute, die ich kenne.«
    »Wie meinst du das?« Plötzlich wollte ich wissen, wie sie als Außenstehende Mutter erlebt hatte. »Hast du … hast du Angst vor meiner Mutter gehabt?«
    Überrascht kniff Monika die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Wieso hätte ich Angst haben sollen? Sie war immer sehr freundlich zu mir. Aber die Atmosphäre bei euch war irgendwie komisch. Wie soll ich sagen …?« Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. »Damals habe ich mir nicht groß Gedanken darüber gemacht. Wenn ich jetzt versuche, mich zu erinnern, wirkte es auf mich, als ob deine Mutter vor etwas Angst hätte, das sie sagen oder tun könnte. Sie hat immer wahnsinnig kontrolliert mit dir gesprochen. Ganz anders als mit mir. Verrückt, nicht?« Sie kicherte. »Na, zumindest fand ich es ungemütlich. So wie in den alten Romanen, wo die Kinder ›Sie‹ zu ihren Eltern sagen. Das hätte zu euch gepasst.«
    Damit hatte Monika die Distanz zwischen meiner Mutter und mir gut charakterisiert. Eine eigenartige Fremdheit, die Zuneigung versteckte, aber auch keinen Raum für Auseinandersetzungen mit dem anderen ließ. Was hätten wir uns zu sagen gehabt, wenn wir uns wie »normale« Menschen benommen hätten? Plötzlich wünschte ich mir so sehr, dass Mutter mich manchmal – nur hier und da – in den Arm genommen hätte, dass ich unachtsam nach dem nächsten Zweig griff und mit einem leisen Aufschrei zurückzuckte. Ein roter Tropfen sickerte aus der Fingerkuppe meines Mittelfingers. »Ich glaube, ich gehe ins Bett«, sagte ich und flüchtete vor dem Mitgefühl in Mikes Augen in mein Zimmer.
    Hingebungsvoll stürzte ich mich in die vernachlässigte Buchhaltung. Alfons fand meinen Eifer übertrieben. »Hat doch die ganzen Jahre auch irgendwie geklappt«, murrte er, wenn er mich außer Hörweite wähnte.
    Ich strukturierte das Büro, wie ich es gewöhnt war, legte neue Ordner an, und brachte die kaum vorhandene EDV auf einen Stand, der in meiner ehemaligen Arbeitsstelle zwar mitleidig belächelt worden wäre, uns aber ausreichte. Den gesamten Pflanzenbestand einzugeben, was mir logisch erschien, hielt Monika allerdings für Zeitverschwendung:

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