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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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»Vielleicht später, wenn der Versand wieder losgeht.«
    Natürlich arbeitete ich nicht nur im Büro oder im Hinterzimmer. Das Weihnachtsgeschäft ist für Gärtnereien eine absolute Stoßzeit, und darum half ich auch viel im Verkaufsraum aus. Am Anfang musste ich all meinen Mut zusammennehmen, um nicht sofort wieder hinter meinen ruhigen Schreibtisch zu flüchten, anstatt mich in die Kundenmenge zu stürzen. Aber ich gewöhnte mich daran, und eines Tages sagte Monika anerkennend: »Mensch, Reni, du bist viel lockerer geworden, nicht mehr so verhuscht, als wolltest du dich gleich irgendwo verkriechen. Pass auf, du wirst noch richtig normal!«
    An diesem Abend stellte ich mich vor den hohen Spiegel in der Schranktür und betrachtete mich mit den kritischen Augen eines Unbeteiligten. Mutter hätte mich schlampig gefunden. Ich war bequem geworden: Im Büro sah mich niemand, und in der Gärtnerei trugen alle alte Jeans und Pullover. Meine langen Locken trug ich meist nachlässig zusammengebunden. Keine Spur von der jungen Frau, die zehn Jahre lang mit ihren Kostümen praktisch verwachsen gewesen war. Ich trauerte ihnen nicht nach. Ja, in Mikes Augen sah ich jetzt sicher besser aus. Und in meinen auch.
    Das erste Weihnachten ohne Mutter feierte ich mit Monika und Alfons. Wir »machten auf Fein«, wie Alfons es nannte – er zog seinen einzigen Anzug an, der jedem Heimatmuseum zur Ehre gereicht hätte, Monika überraschte uns mit einem weißen Angorapullover, einem Geschenk von Stevie, und ich grub den smaragdgrünen Kaschmirpullover aus, den ich noch nie getragen und mir für einen besonderen Anlass aufgehoben hatte.
    Wir aßen Käsefondue, sangen ein paar Weihnachtslieder und tauschten, um unseren Weihnachtsbaum sitzend, Geschenke aus. Der Baum war übrig geblieben, eine kleine, schüttere Rotfichte, elend anzuschauen. Ich verstand die Kunden, die »den Strunk« verächtlich beiseite geschoben hatten und ihm dabei auch den letzten einigermaßen schönen Ast abknickten. Aber im Licht der Kerzen, reich behängt mit Lametta und sämtlichen bunten Glaskugeln, die Alfons vom Dachboden geholt hatte, strahlte er eine eigene Art von Würde aus.
    Alfons schenkte uns selbst destilliertes Rosenwasser. »Ihr seid zwar schön, aber man ist nie schön genug«, meinte er verschmitzt. Vorsichtig öffnete ich den altmodischen Apothekerflakon und schnupperte. Ein betörender Duft stieg auf.
    »Mmmhh – Alfons, wie hast du das gemacht?«, fragte Monika neugierig.
    »Wird nicht verraten. Lasst einem alten Mann ein paar Geheimnisse.«
    Er freute sich kindlich über die gefütterte Lederjacke, für die wir zusammengelegt hatten. Monika und ich überraschten uns gegenseitig: Ich hielt sprachlos die sündhaft teure Satinbettwäsche in Händen, die ich im Schaufenster so bewundert hatte, weil die Mohnblüten, mit denen sie verschwenderisch bedruckt war, aus sich heraus glühten, als lebten sie Monika strahlte mit der Kupfersichel in der Hand, die ich den ortsansässigen Schmied überredet hatte anzufertigen.
    »Du hast doch immer behauptet, es hätte sicher einen Grund, wieso die Druiden reines Kupfer statt Bronze benutzten, um ihre Kräuter zu schneiden. Jetzt kannst du es ausprobieren. Vielleicht halten die Pflanzen dann wirklich länger?«, erläuterte ich ihr das im Kerzenlicht warm schimmernde Werkzeug. Der Schmied hatte mir zu Lindenholz für den Griff geraten und es liebevoll geschliffen und poliert. Das Ergebnis war ein federleichtes, edel wirkendes Kunstwerk.
    »Na, in der Bettwäsche kann man eigentlich gar nicht die Augen schließen«, stellte Alfons fest.
    Ich strich über die seidig-schwere Oberfläche des Stoffs und malte mir in Gedanken aus, wie es sich anfühlen würde, zwischen diese streichelnde Glätte zu schlüpfen, die Kühle auf der Haut zu spüren. Bisher war ich an brettsteif gemangelte weiße Leinenwäsche gewöhnt gewesen – so unprätentiös wie qualitativ hochwertig. Als Kind hatte ich es gehasst, wenn mein Bett neu bezogen wurde. Es wirkte dann in seiner steifen Härte auf mich geradezu abweisend.
    Als ich Stunden später zufrieden und müde von der Flasche Dornfelder, die wir zu dritt geleert hatten, ins Bett sank, war ich rundum glücklich.
    Am ersten Feiertag brachte Monika die Sprache auf ihren neuesten Einfall.
    »Was hältst du eigentlich von einer Farbenspezialisierung?«, fragte sie mich beiläufig, während sie den Braten anschnitt. Aus Alfons’ verächtlichem »Phh« schloss ich, dass er diesem Projekt

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