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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Früchten. »Er riecht nach Kirsche«, stellte ich überrascht fest.
    Jonathan nickte genießerisch, ohne die Augen zu öffnen. »Hmm, richtig erkannt. Das ist mein Lieblings-Cherrybrandy. Den teile ich nur mit wenigen Menschen. – Und jetzt nimm einen kleinen Schluck. Was schmeckst du?«
    Die Wärme, die sich in meiner Mundhöhle und Kehle ausbreitete, war angenehm weich. Das leichte Brennen ging fast sofort in sanftes Glühen über, das nur langsam verebbte.
    »Ich kann es nicht beschreiben, aber es schmeckt mir«, urteilte ich abschließend.
    Jonathan kicherte. »Das kann man bei einer solchen Kostbarkeit auch erwarten. Trink ihn mit Andacht, es ist meine letzte Flasche.«
    Als wir unsere Gläser geleert hatten, schenkte er nach. Angenehme Wärme breitete sich in meinem Körper aus. Plötzlich hatte ich Mühe, die Augen offen zu halten. Meine Lider wurden so schwer, dass sie mir immer wieder zufielen, sobald ich nicht aufpasste.
    »Ich glaube, ich muss mich wirklich etwas hinlegen«, entschuldigte ich mich bei Jonathan, taumelte mehr, als dass ich ging, in mein Zimmer, riss mir nur die Kleider vom Leib und schlüpfte unter die Bettdecke.
    In dieser Nacht träumte ich von meiner Mutter: Sie war in unserem Haus eingeschlossen und klopfte verzweifelt von innen an die Tür. Ich stand draußen und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte keinen Schlüssel. Er musste innen stecken. Wieso schloss sie nicht einfach auf? Sie sollte aufhören, an die Tür zu hämmern, ich ertrug es nicht! Verzweifelt hielt ich mir die Ohren zu, um es nicht mehr hören zu müssen. Dabei verfing sich eine Hand in meinen Haaren, und der plötzliche Schmerz weckte mich.
    Jemand klopfte tatsächlich beharrlich an meine Zimmertür, und einen Moment später rief Jonathan besorgt: »Wenn du nicht gleich antwortest, komme ich einfach hinein. Hörst du?«
    »Schon gut«, rief ich verschlafen. »Tut mir leid, ich habe geträumt.«
    »Komische Träume hast du!« Seine Stimme hatte einen spitzen Unterton. »Kommst du frühstücken? Wir sollten nicht zu spät los auf den Markt.«
    Als ich wenig später, immer noch etwas verschlafen, in die Küche kam, saß Jonathan bereits am sauber gedeckten Tisch – in einem frischen Hemd und mit gebundener Krawatte. Auf der Warmhalteplatte standen Eier und Schinken. Der Tee in der Kanne dampfte.
    Misstrauisch sah ich mich um.
    »Du kannst dich ruhig setzen.« Nur eine kaum wahrnehmbare Röte auf Jonathans Wangen verriet einen Anflug von Verlegenheit. »Er ist schon wieder gegangen.«
    Wie tief hatte ich geschlafen, dass ich nichts von seinem Besuch mitbekommen hatte? Und: Wer war er ? »Warum hast du uns nicht bekannt gemacht?«, fragte ich neugierig, während ich uns von dem lockeren Rührei und dem wunderbar krossen Schinkenspeck auflegte. »Ich hätte ihn gerne kennen gelernt. – Mmh, kochen kann er jedenfalls besser als ich! Ist es derselbe, den du fürchtest, nicht wieder loszuwerden?«
    »Ich frage dir auch keine Löcher in den Bauch«, knurrte Jonathan.
    Offensichtlich hatte ich eine Grenze überschritten. Erschreckt wurde mir bewusst, wie sehr ich im Umgang mit ihm meine anerzogene Zurückhaltung abgelegt hatte. Jonathan war innerhalb dieser kurzen Zeit für mich eine Art Vaterersatz und großer Bruder geworden. Wie einem Kind, das keine Scheu gegenüber einem geliebten Verwandten kennt, war mir das Gefühl für die nötige Distanz abhandengekommen. Ich sagte, was mir in den Sinn kam, ohne eingeschalteten Filter. Die Zurechtweisung hatte ich mehr als verdient. Wie hatte ich nur so taktlos sein können?
    Jonathan bemerkte mein Erschrecken und lächelte versöhnlich. »Du hast Recht«, lenkte er ein. »Er kocht tatsächlich wunderbar.« Damit war das Thema erledigt, und ich hütete mich, es wieder anzuschneiden.
    Eine halbe Stunde später standen wir unten vor dem Haus und warteten auf unser Taxi. Mit schöner Selbstverständlichkeit hatte mein distinguierter Buchsbaummann aus einem versteckten Winkel im Flur eine jener auf ein Rollgestell montierten Einkaufstaschen hervorgeholt, wie sie zu Hause nur alte Damen im äußersten Notfall benutzen. Und dieses war noch dazu ein besonders scheußliches Exemplar in einem orange-pinkfarben-violett karierten Muster.
    »Mit dem Ding willst du unter Leute gehen?«, fragte ich so entsetzt wie ungläubig.
    »Aber selbstverständlich«, entgegnete er ungerührt. »Glaubst du, ich will mir die Arme ausrenken? Außerdem darf ich dich darauf hinweisen, dass ich momentan

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