Schwarzer Purpur
sowieso nur einen benutzen kann.«
Gott sei Dank kannte mich hier niemand, dachte ich, während ich wenig später hinter ihm hertrottete. Der Markt zog sich über mehrere Straßen hin, ein Stand neben dem anderen. Jonathan wusste genau, bei wem er kaufen wollte, obwohl er manchmal kurz stehen blieb, um hier eine Fleischauslage und da einen Obststand näher zu begutachten.
Eine alte Frau auf einem Klappstuhl, die aus einem Blecheimer zu ihren Füßen kleine Sträuße aus Bartnelken und Vergissmeinnicht anbot, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Strauß bestand aus besonders dunklen Blüten, fast schwarz stach er gegen die rosafarbenen und weiß gesprenkelten ab. Er zog mich magisch an. Die Alte hielt mir einen hübschen Bund in Bonbonfarben hin, aber ich schüttelte den Kopf und wies auf den dunklen.
Sie rümpfte die Nase, murmelte heiser etwas von Unglücksblumen, nahm das Geldstück und drückte mir hastig die Blumen in die Hand.
Ich sah durch den Strauß hindurch ein Gesicht, rötlich überhaucht vom Licht der Straßenlaternen und wie gemeißelt im letzten Augenblick der Anspannung.
»Kommst du?« Jonathan winkte hektisch von der anderen Straßenseite. »Pass auf, dass wir uns nicht verlieren.« Ein kurzer Blick streifte den Blumenstrauß, aber er enthielt sich jeden Kommentars. Stattdessen zog er mich zu den Buschbohnen an einem Gemüsestand und erklärte mir, dass man die Frische am zuverlässigsten an den Stängeln beurteilen könne. »Diese hier sind heute Morgen gepflückt. Das siehst du an den noch feuchten Stielen. – Wir nehmen ein Kilo«, sagte er zu dem geduldig wartenden Verkäufer.
Nach zwei Stunden in der quirligen Menschenmenge schwirrte mir der Kopf. Jonathan dagegen wirkte regelrecht belebt durch die Auseinandersetzungen um das zarteste Lammfleisch, die reifste Mango, den knackigsten Salat, die aromatischsten Tomaten, die frischeste Sahne. Damit er wenigstens mit der einen Hand ungehindert kneifen, drücken, betasten konnte, hatte ich das Wägelchen übernommen und zog es hinter ihm her wie ein ergebener indischer Diener.
»So, ich denke, jetzt haben wir alles«, stellte er endlich befriedigt fest. »Lass uns heimfahren.«
Mit Grausen dachte ich an den Weg zurück durch all die Menschenmassen, die sich zwischen den bunten Ständen hindurchschoben. Aber Jonathan leitete mich in eine finster wirkende Seitengasse, und nach wenigen Metern standen wir wieder auf einer belebten Durchgangsstraße. An dieses Nebeneinander konnte ich mich nur schwer gewöhnen. Vielleicht war es die Assoziation mit Jack the Ripper und nebelverhangenen Edgar-Wallace-Filmen, dass die Londoner Seitengassen mir unheimlicher vorkamen als in Deutschland. Sie wirkten so abschreckend wie eine eigene, abweisende Welt mit ihren rußgeschwärzten Mauern und den vernagelten Türen und Fenstern der leer stehenden Wohnungen. Bog man dann um eine Hausecke in der Erwartung, in einer Sackgasse zwischen Mülltonnen zu landen, stand man auf einmal unversehens auf dem Bürgersteig zwischen einem noblen Einrichtungsgeschäft und einer Boutique. Als wäre man durch einen Spiegel in eine andere Welt getreten.
Der Taxifahrer war so nett, uns den Einkaufswagen bis an die Haustür zu bringen, wobei er mir seltsam neugierige Blicke zuwarf. Im Lift schaute ich an mir hinunter. »Habe ich einen Schmutzfleck im Gesicht, oder wieso hat dieser Mann mich so komisch angesehen?«
Jonathan kicherte. Dabei sah er aus wie ein Kobold. »Nein, nein – es liegt nicht an dir. Oder besser: nicht speziell an deiner Person. Es war nur verwirrend für den guten Mann, uns wie ein normales, gutbürgerliches Paar vom Einkaufen kommen zu sehen.« Er kicherte immer noch, als wir oben die Einkäufe versorgten.
Unter seinem strengen Blick putzte ich gerade die Bohnen für den Lammeintopf, während er mir einen Vortrag über die Vorzüge von Frischgemüse hielt, als die Türklingel uns aufschreckte. Meine wilden Spekulationen wurden allerdings schnell enttäuscht. Eine schrille Frauenstimme sagte anklagend: »Jonathan, was soll das? Du lebst jetzt mit einer Frau zusammen? Tu mir das nicht an, das kann ich den Zuschauern wirklich nicht verkaufen! Du musst dich schon entscheiden …«
Ich hörte Jonathan beruhigend murmeln, und da standen sie auch schon in der Küchentür. Eine gefärbte Gerbera , schoss es mir durch den Kopf. Mit mehr Mut als Geschmack eingefärbte Gerbera sind seit einigen Jahren sehr in Mode. Man kann sie passend zur Wohnungseinrichtung, zum
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