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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
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Sieglinde war eine so genannte Hostess, aber sie war vor allen Dingen eine alte Freundin von mir. Wir tranken gemeinsam. Ihre Alkoholvorräte waren schnell aufgebraucht, und sie bat mich, mit ihr einkaufen zu fahren, in unserem Zustand. Es war Dummheit, absolute Verantwortungslosigkeit, aber damals sah man diese Dinge nicht so streng wie heute.
    Sie hatte einiges getrunken, und sie fuhr zu schnell. Ein Lastwagen nahm uns die Vorfahrt. Sieglinde wurde aus dem Wagen geschleudert. Sie war nicht sofort tot, sie starb in meinen Armen, während jede Menge Leute um uns herumstanden und sie anglotzten.
    Ein Reporter war natürlich auch dabei.
    Es war ein fürchterlicher Skandal, wildfremde Leute spuckten mich noch Wochen später auf der Straße an und beschimpften mich.
    Ich wurde die ganze Nacht von der Polizei verhört, und als ich morgens nach Hause kam, hatte Margarethe bereits die Wohnung verlassen und war mit dir zu ihren Eltern gezogen. Sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, also wurde alles Nötige von den Anwälten geregelt.
    Liebste Margarethe, geliebtes Kind – ich habe niemals die Ehe gebrochen, nicht mit der armen Sieglinde und auch mit keiner anderen Frau. Bitte glaubt mir das! Ich habe im Angesicht des Todes nur noch den einzigen Wunsch, dass ihr beide, die ihr mir das Wichtigste auf dieser Welt wart, mir glaubt und verzeiht.
    Meine liebe Verena, ich wünsche dir alles Glück der Welt.
    Lebe wohl!
    Dein Vater
    Giuseppe Tomaso Renaldo Corvaio
    Es war noch nicht einmal ein Verhältnis gewesen!
    Ob Mutter auch so unbarmherzig gewesen wäre, wenn sie das gewusst hätte? Oder waren ihre rigorosen Entscheidungen eher durch die öffentliche Demütigung beeinflusst worden?
    Mit Schaudern versuchte ich mir vorzustellen, wie es für die Beteiligten gewesen sein musste: die genüssliche Demontage einer Bilderbuchfamilie, das falsche Mitgefühl, die mitleidlose Hetzjagd der Lokalpresse. Und am Ende hatte Mutter die Entscheidung ihres Lebens getroffen, allein. Ich musste sie für ihren Mut bewundern, auch wenn ihre Härte ihrer Familie, ihrem Mann gegenüber mir unverständlich blieb. Wie viele Menschen mochte es geben, die mit einer solchen Konsequenz handelten?
    Es wäre so viel einfacher für sie ohne mich gewesen, dass ich mich fragte, wieso sie sich nicht auch von mir getrennt hatte. Sie hätte mich bei ihren Eltern lassen können. Stattdessen hatte sie es vorgezogen, mich mit in ihr gläsernes Gefängnis zu nehmen, das mich erst nach ihrem Tod freigegeben hatte. Ich fühlte mich ein wenig schwindlig, als ich die Briefe wieder zusammenschnürte. Vielleicht war ich einfach nur müde.
    Die Wohnungstür klappte geräuschvoll zu, und ich hörte leise Schritte. Anscheinend war Jonathan von seiner Besprechung zurück. Vermutlich würde er sofort Tee verlangen. Ich vergewisserte mich mit einem kurzen Blick in den kleinen Spiegel neben der Frisierkommode, dass ich einigermaßen präsentabel aussah, und machte mich auf den Weg in die Küche.
    Im Flur bemühte Jonathan sich ungeschickt, seinen Mantel mit einer Hand auf einen Bügel zu hängen.
    »Lass mich das machen«, sagte ich schnell und griff danach. Erleichtert überließ er mir das Kleidungsstück und meinte: »Ich denke, es ist Zeit für einen Tee. Oder, wenn ich dich so ansehe, vielleicht besser – einen Brandy? – Bist du in Ordnung? Du siehst so schrecklich blass aus.«
    »Alles in Ordnung«, beruhigte ich ihn. »Ich bin nur müde.«
    »Du solltest dich etwas hinlegen – nicht, dass du mir umkippst. In meinem gegenwärtigen Zustand wäre ich da ziemlich hilflos.« Er hob vielsagend die Brauen. Ich fühlte mich immer noch schwindlig – wahrscheinlich tatsächlich die Müdigkeit. Mehr als drei Stunden hatte ich kaum geschlafen.
    Und so kam es, dass wir einträchtig auf dem Sofa lümmelten und aus riesigen Kristallschwenkern Brandy schlürften. Er schmeckte erstaunlich gut. Ich hatte noch nie Brandy getrunken und deshalb erwartet, etwas fürchterlich Brennendes hinunterschütten zu müssen, wie ich es in Filmen gesehen hatte, aber Jonathan hielt mein Handgelenk fest und bremste mich: »Halt, langsam, das ist doch kein Schnaps! Was glaubst du, wieso er aus solchen Riesengläsern getrunken wird? Damit man die Blume genießen kann. – Wonach riecht er?« Liebevoll hielt er das Glas zwischen den Fingern, ließ die goldbraune Flüssigkeit kreisen und schnupperte begeistert mit geschlossenen Augen.
    Ich tat es ihm nach. Der Brandy roch würzig mit einem Hauch von

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