Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wahl
Vom Netzwerk:
teilen und neu eintopfen, Gartenkresse nachsäen und die Peperonipflanzen von Blattläusen befreien.
    Die Arbeit beruhigte mich und tat mir gut. Die für den behutsamen Umgang mit den empfindlichen Sämlingen nötige Konzentration nahm meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch, und als ich erst einmal in die vertrauten Arbeiten vertieft war, vergaß ich alles um mich herum.
    Das schrille Klingeln des Telefons erschreckte mich dermaßen, dass ich die kleine Pflanzkelle fallen ließ. Scheppernd schlug sie auf den kostbaren spanischen Keramikfliesen auf. Mark!, war mein erster Gedanke, und eine Hitzewelle schoss mir durch den Körper, ließ mein Herz rasen und meinen Mund trocken werden.
    Sei nicht blöde, rief ich mich dann selbst zur Ordnung. Er ist es nicht, wieso sollte er jetzt anrufen? Aber mein Herz klopfte weiter in einem wilden Stakkato, und ich lauschte stocksteif, um nur ja nicht zu verpassen, wenn Jonathan mich ans Telefon rief.
    Er rief mich nicht. Stattdessen verriet mir der fast gurrende Tonfall, in dem er in den Hörer sprach, dass der Anruf ihm galt.
    Warum war ich so enttäuscht? Ich hatte doch nicht ernsthaft damit gerechnet. Ich bückte mich, hob die Schaufel auf und beeilte mich, die Erdspuren mit dem kleinen Handfeger, den Jonathan vorsorglich bereitgestellt hatte, zu beseitigen.
    Minuten später tauchte Jonathan in der Tür auf, ein unterdrücktes Funkeln in den Augen. »Kann ich dich für ein paar Stunden allein lassen? Ich muss zu einer Besprechung …«
    Ich nickte, ohne von meiner Tätigkeit aufzusehen.
    »Und arbeite nicht die ganze Zeit. – Bis dann …«
    Die auffrischende Brise vom Wasser her trieb mich bald in die Wohnung zurück, und als hätte ich die ganze Zeit nichts anderes vorgehabt, trugen meine Füße mich wie von selbst in mein Zimmer.
    Das durch Zeit, Staub und diverse andere Dinge mitgenommene Briefbündel lag auffordernd mitten auf meiner Bettdecke. Ich setzte mich und nahm es so vorsichtig hoch, als erwartete ich, dass es zu Staub zerfiele.
    Das Papier war zwar vergilbt und zerknittert, machte aber einen durchaus stabilen Eindruck. Weder die Jahre noch der Ort der Aufbewahrung hatten es übermäßig in Mitleidenschaft gezogen.
    Behutsam löste ich die Verschnürung und drehte den obersten, an Frau Margarethe Naumann adressierten Umschlag mit dem gestochen scharfen Stempel Annahme verweigert unschlüssig in den Händen. Was wäre, wenn ich Dinge erführe, die ich nicht wissen wollte? Jahre der Erziehung kämpften mit brennender Neugierde. Ein anständiger Mensch las einfach nicht anderer Leute Briefe. Aber der Wunsch, mehr über meine Eltern und über die Hintergründe, die letztlich mein Leben bestimmt hatten, zu erfahren, siegte.
    Der Umschlag öffnete sich fast von selbst. Mit zitternden Fingern zog ich das einzelne Blatt heraus. Die ungleichmäßige Schrift war an einigen Stellen verschmiert, als hätte der Schreiber versucht, Tropfen zu verwischen.
    Meine geliebte Margarita,
    wenn ich nur alles ungeschehen machen könnte! Glaube mir, ich würde alles dafür tun, was in meiner Macht steht. Was soll ich noch tun?
    Du hast meinen Stolz verlangt, und ich habe ihn dir zu Füßen gelegt. Du hast meinen gesamten Besitz verlangt, und ich habe ihn dir ohne zu zögern überschrieben. Du hast die Scheidung verlangt, und ich willigte ein, obwohl ich es kaum ertragen kann. Du hast gesagt, dass meine Liebe dich beschmutzt, und ich begrabe sie tief in meinem Inneren, tief unter meiner Schuld, unter meiner Reue.
    Aber ich flehe dich an, mir nicht unser Kind zu nehmen. Ein Leben ohne zu wissen, wie es meiner Piccolina geht, ohne ihre Wünsche, ihre Träume zu kennen – das ist die Hölle. Ich schwöre auf das Leben meiner Eltern, ihr nie ohne deine Erlaubnis nahe zu kommen, aber ich bitte dich inständig: Nimm mir nicht die Hoffnung, sie eines Tages in die Arme schließen zu können!
    Ich bin zu allem bereit, was du forderst. Ich werde warten, solange es sein muss, in all der Demut, die Monsignore Rovegro mir auferlegt hat, aber bitte antworte mir!
    Giuseppe
    Die Verzweiflung, die aus den zittrigen Zeilen, den pathetischen Worten sprach, rührte mich. Hätte Mutter sich davon rühren lassen? Vielleicht war sie sich nicht sicher gewesen und hatte ihn deswegen lieber nicht angenommen.
    Nachdenklich faltete ich das Schreiben wieder zusammen. Mein Vater hatte mich geliebt. Ich war ihm keineswegs gleichgültig gewesen. Und ich war mir ziemlich sicher, dass er meine Mutter ebenfalls geliebt

Weitere Kostenlose Bücher