Schwarzer Regen
Deutschlands umgebracht zu werden? Er wäre ein Märtyrer, eine Symbolfigur des nationalen Stolzes, der deutsche Che Guevara. Eine Katastrophe wie die von Karlsruhe war kaum begreifbar und hinterließ Zerrissenheit und |357| Verwirrung, aber der Mord an einem nationalen Helden würde auch den letzten Skeptiker in Rage versetzen, das Land in seiner Empörung einen und Millionen in die Arme der PDV treiben.
Hatte Ludger all das von Anfang an geplant? Oder war es ein spontaner Einfall gewesen, eine Reaktion auf das drohende Kippen der öffentlichen Stimmung infolge der sinnlosen Gewaltakte, von denen die Journalistin ihm erzählt hatte? Er wusste es nicht, aber er ahnte, dass Ludger Freimann selten etwas ungeplant tat.
Der zweite Mann war inzwischen mit seinen Graffiti-Schmierereien fertig: »Rache für die Opfer der Brandanschläge« hatte er gesprüht und »Karlsruhe war nur der Anfang!«. Er ging zu dem Lieferwagen und holte einen Benzinkanister.
Panik ergriff Gerd. Er wusste, dass er so oder so in Kürze sterben würde, und doch flammte ein unbändiger Lebenswille in ihm auf. »Bitte!«, rief er. »Bitte lasst mich gehen! Ich werde nichts sagen!«
Die Männer würdigten ihn keines Blickes. Der eine schraubte den Deckel vom Kanister und übergoss Gerd mit dem Inhalt. Die kühle Flüssigkeit tränkte seine Kleidung, während der intensive Benzingeruch ihn benebelte.
»Nein!«, schrie er. »Bitte nicht! Nicht mit Feuer!« Seine Stimme brach, und sein Körper begann unkontrolliert zu zucken. »Bitte, tötet mich vorher!«, flehte er.
Endlich blickte ihn einer der beiden an, während er ein Heft mit Streichhölzern aus der Tasche holte. In seinen Augen schien so etwas wie Bedauern zu liegen, aber sein Gesicht blieb ungerührt.
Verzweifelt zerrte Gerd an seinen Fesseln, doch selbst bei vollen Kräften hätte er sie nicht lockern können. »Bitte nicht!«, rief er ein letztes Mal. »Bitte, bitte nicht!«
Der Mann entzündete ein Streichholz und warf es auf |358| den Rollstuhl, doch bevor es das Benzin entzünden konnte, verlosch es. Er grunzte etwas, holte ein Papiertaschentuch hervor, tunkte es kurz in die Lache auf dem Boden, zündete es an und ließ es achtlos auf Gerds Schoß fallen.
Es gab ein kurzes, dumpfes Geräusch wie von einem entzündeten Gasherd. Augenblicklich war Gerd von bläulichen Flammen eingehüllt. Für einen Moment spürte er nichts außer einem warmen Luftzug auf den Wangen. Die absurde Hoffnung keimte in ihm auf, das Benzin werde nur wirkungslos verpuffen.
Dann kamen die Schmerzen.
|359| 71.
»Reinkommen! Schön langsam!«
Lennard gehorchte zögernd. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, Pawlow mit einem schnellen Manöver zu überrumpeln. Der Mann war bei der GSG9 ausgebildet worden.
Pawlow schloss die Tür mit einem Fußtritt. »Auf den Boden! Arme und Beine ausgestreckt!«
Lennard legte sich flach hin. Seine Gedanken rasten. Wie hatte er nur so naiv sein können! Pawlow war der Sicherheitschef von Heiner Benz. Es war naheliegend, dass die beiden unter einer Decke steckten. Benz hätte ihn sonst sicherlich längst ausgetauscht.
Pawlow rammte ihm ein Knie in den Rücken, packte Lennards Arme und riss sie grob nach hinten. Jetzt, wo er beide Hände brauchte, war die beste Gelegenheit für einen Befreiungsversuch. Doch Pawlow verstand sein Handwerk. Ehe Lennard Anstalten machen konnte, sich herumzuwerfen und seinen Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen, waren seine Handgelenke bereits mit reißfestem Klebeband umwickelt. Kurz darauf hatte Pawlow auch seine Füße gefesselt.
Er drehte Lennard grob auf den Rücken und stellte sich über ihn. »Wo ist sie?«
Lennard atmete erleichtert auf. Eva war ihnen entwischt! Vielleicht hatte sie seine Nachricht noch rechtzeitig abgehört. »Ich habe keine Ahnung, wen Sie meinen!«
»Falsche Antwort!« Pawlow trat ihm brutal in die Seite. Es gab ein Knacken, als mindestens eine Rippe brach.
Lennard krümmte sich vor Schmerzen. »Ehrlich, ich habe keine Ahnung! Hören Sie, Pawlow, Ihr Chef hat mich |360| auf Sie angesetzt! Er traut Ihnen nicht mehr. Glauben Sie, er wird Sie als Mitwisser am Leben lassen, nachdem Sie die Drecksarbeit für ihn erledigt haben?«
»Halten Sie den Mund. Sie wissen gar nichts!«
»Ich weiß eine ganze Menge. Ich war in Hamburg bei der Polizei. Sie sind schon unterwegs, um Benz’ Villa auf den Kopf zu stellen. Wenn Sie schlau sind, distanzieren Sie sich von ihm, solange Sie noch können!«
»Einen Scheiß waren Sie!
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