Schwarzer Regen
Porträt aus dem 17. Jahrhundert. Dahinter lag nach Evas Angaben der Tresor verborgen.
Lennard hängte das Bild ab. Als er sich bückte, um es abzustellen, schoss der Schmerz erneut durch seine linke Körperhälfte. Er stöhnte auf. Hinter dem Bild kam eine graue Stahltür mit einer Zifferntastatur zum Vorschein. Er tippte den achtstelligen Code ein, den Eva ihm genannt hatte, doch die Leuchtanzeige wurde nicht grün.
Verdammt! Er tippte den Code erneut ein, mit demselben Ergebnis. Er rief sich den Zettel in Erinnerung, auf den sie die Zahlen geschrieben hatte. Er sah ihn so deutlich vor sich, als hielte er ihn in der Hand. Evas Handschrift war weich und geschwungen, aber klar. Ausgeschlossen, dass er eine Zahl falsch gelesen hatte. Vielleicht hatte sie sich geirrt oder zwei Ziffern vertauscht?
Wahrscheinlicher war, dass Benz einfach die Kombination geändert hatte. Trotzdem rief er sie an.
Sie ging nicht ans Telefon. Lennard sprach ihr eine kurze Nachricht auf die Mailbox. Er beschloss, zehn Minuten im Haus zu warten. In der Zeit konnte er wenigstens Benz’ Schreibtisch und den großen Eichenschrank an der gegenüberliegenden Wand durchsuchen. Vielleicht fiel ihm dabei irgendetwas in die Hände, ein kleiner, auf den ersten Blick harmloser Hinweis, den er weiter verwenden konnte. Etwas anderes konnte er nicht tun.
Die mittlere Schublade unter der Schreibfläche war verschlossen, |378| aber die altertümlichen Schlösser waren für Lennard kein Hindernis. Darin fand er eine Pistole. Offenbar rechnete Benz damit, in seinem Arbeitszimmer bedroht zu werden. Er fasste die Waffe mit einem Papiertaschentuch an, entfernte die Patronen aus dem Magazin, steckte sie ein und legte die Pistole wieder an ihren Platz zurück.
Die restlichen Schubladen waren unverschlossen. Sie enthielten Büromaterial. Er fand einen Notizblock, auf dem Benz handschriftliche Aufzeichnungen gemacht hatte. Überwiegend waren es Aufgabenlisten und kleine Notizen: »Beringer wegen Projekt Comet anrufen (Due Dilligence zeigt eindeutig Vertriebsschwäche – zu teuer?)«, »Dr. Braun: Strategie gegen EV von freenet«, »Schon wieder Benzinpreiserhöhung – AO-Kunden könnten billiger tanken. Kooperation mit Mineralölanbieter prüfen!« Einige der Notizen waren durchgestrichen, andere mit einem Haken versehen.
In einer anderen Schublade fand er einen Karteikasten mit Visitenkarten, die alphabetisch geordnet waren. Er blätterte ihn durch. Einige Karten waren in kyrillischer Schrift bedruckt, andere mit arabischen oder chinesischen Schriftzeichen, aber das war bei einem Unternehmer wie Benz nicht weiter bemerkenswert. Auch hier würde er kaum die Namen der Mitverschwörer finden. Trotzdem nahm er den Kasten heraus und stellte ihn zu dem Notizblock auf den Schreibtisch.
Lennard sah auf sein Handy. Die zehn Minuten waren um. Noch einmal wählte er Evas Nummer. Doch sie ging nicht ran.
Gerade als er ihr eine zweite Nachricht hinterlassen wollte, hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde. Er lauschte. Schritte näherten sich über den Holzfußboden der Diele.
Lennard stellte sich hinter die Tür, die in diesem Moment geöffnet wurde. Ein hochgewachsener Mann mit krausem Haar und einem dunkelblauen Anzug kam herein. |379| Er blieb in der Tür stehen, ging dann langsam auf den freigelegten Tresor zu.
Lennard zog die Pistole aus der Tasche. Dabei fiel etwas auf den Boden, doch bevor er danach schauen konnte, fuhr der Mann herum.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier?« Seine Stimme war kräftig. Sie wirkte eher überrascht als erschrocken. Dieser Mann war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.
»Heiner Benz?«, fragte Lennard.
»Allerdings. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Lennard versuchte, sich die Schmerzen in der Brust nicht anmerken zu lassen. »Bitte öffnen Sie den Tresor.«
Benz lachte. »Sie machen wohl Witze! Verschwinden Sie, bevor ich die Polizei rufe! Es ist ohnehin nichts hier, das sich zu stehlen lohnt!«
»Hören Sie zu, Benz. Ich habe keine Zeit, zu diskutieren. Ich zähle jetzt bis zehn. Wenn Sie bis dahin nicht den Tresor geöffnet haben, werde ich Ihre linke Kniescheibe zerschießen. Eins …«
Benz lief rot an. »Was soll das? Wer hat Sie geschickt? Konstantinow? Sagen Sie ihm, der Deal ist geplatzt!«
»Zwei … Drei …«
»Verdammt! Glauben Sie wirklich, Sie können hier einfach so reinspazieren und mich mit der Waffe bedrohen? Ich mache Sie fertig! Und Ihren Auftraggeber auch!«
»Vier … Fünf … Sechs
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