Schwarzer Regen
beginnen. Nein, er hatte schon begonnen, auch wenn es nicht deutsche, sondern amerikanische Bomber waren, die Teheran angriffen. Aber Nostradamus hatte auch nicht behauptet, dass die »Dummköpfe« Deutsche waren. Die Welt wusste es noch nicht, aber der Dritte Weltkrieg war bereits im Gange, das Ende der Welt stand unmittelbar bevor. Langen zwang sich, auch die nächsten Zeilen noch einmal zu lesen.
Die Welt nähert sich ihrer letzten Phase,
nicht fern des großen Jahrtausends.
Kein noch so kühnes Herz, welches nicht erzittert.
Klagen und Weinen, Geschrei und großes Heulen.
Dann entstehen von neuem die Kriege,
bleiben nicht innerhalb der deutschen Berge eingegrenzt,
fast ganz Europa und die Welt peinigen (sie)
vor dem Beginn des Untergangs Mitteleuropas (Kelten).
|372|
O welch abscheuliches Sterben nähert sich!
Sieben Monate großer Krieg, Volk stirbt im Elend.
Vom Himmel kommt ein großer Schreckenskönig,
dass man weder sicheren Ort noch Land haben wird.
Da war er, der »große Schreckenskönig«, die berühmteste aller Nostradamus-Zeilen, die so oft in völlig falschem Zusammenhang zitiert wurde. Der Schreckenskönig war ein eindeutiger Bezug zur biblischen Apokalypse. Das Ende der Welt stand bevor – es gab keinen Ort mehr, an den man sich flüchten konnte. Es war ein schwacher Trost, dass auch der Brandstifter Freimann dabei sterben würde:
Der Aufhetzer wird von seinem eigenen Feuer erwischt,
dann wird er die große Flamme nicht zu löschen wissen.
O welch schreckliche Unglücke, Veränderungen,
Weinen, Schreie und Blut, niemals eine Zeit so bitter.
Die Prophezeiung hätte an dieser Stelle eigentlich zu Ende sein können. Doch stattdessen folgen noch drei Verse, die Langen zutiefst erschütterten. Denn sie bezogen sich ganz offensichtlich auf ihn selbst!
Der Geist eines Einzigen wird es bezeugen,
der neue Weise, der als Einziger zu sehen versteht.
Weder der eine noch der andere wird es verstanden haben.
Dann, wenn notwendig, wird man es zu spät in Betracht
ziehen.
Man stellt falsche Behauptungen über ihn auf.
Die Verhöhnung stinkt abscheulich.
Ein Schwächling mit unbesonnener Zunge.
Mehr, als er ertragen kann, wird vorübergehen.
|373|
Die Briefe vom großen Propheten werden eingeschlossen,
werden mit jenen vom Main vernichtet.
Verwirrung Führer, der eine ersticht sich und stirbt,
kann den Tyrannen nicht mehr ertragen.
Tränen tropften auf das zerknitterte Papier mit Langens präziser, zackiger Handschrift. Was »Verwirrung Führer« bedeuten sollte, war ihm nicht ganz klar – vielleicht hatte Nostradamus damit seine Verunsicherung und Sorge gemeint. Doch der Rest der Botschaft war absolut eindeutig.
Über einen zeitlichen Abgrund von vierhundert Jahren hinweg hatte Nostradamus ihm eine Botschaft gesandt und nicht nur das Schicksal der Welt, sondern Friedhelm Langens ganz persönliche Zukunft vorausgesagt! Der Bezug zu den »Briefen vom Main«, all den Schreiben, die er an Zeitschriftenredaktionen, an Politiker und Sicherheitsbehörden geschickt hatte, rührte ihn.
Als man ihn kurz nach dem Anschlag verhaftet hatte, war die Hoffnung in ihm aufgekeimt, dass man ihm nun endlich zuhören, ihn ernst nehmen würde. Doch man hatte ihn nur ein paar Stunden verhört und dann wieder freigelassen. Man hatte ihn als »ungefährlich« eingestuft. Nostradamus hatte auch das gewusst: Er war der Einzige, der zu sehen verstand, der verhöhnt wurde – ein Schwächling mit unbesonnener Zunge in der Tat! Was immer er unternahm, niemand würde ihm glauben. Er würde das Schicksal des großen Sehers teilen, für immer unverstanden zu bleiben.
Es hatte keinen Sinn mehr weiterzumachen. Im Grunde hatte die Welt es nicht besser verdient. Er hatte wirklich alles getan, um sie zu warnen. Jetzt blieb ihm nur noch übrig, auch Nostradamus’ letzte Prophezeiung zu erfüllen.
Der Abschiedsbrief lag neben den Zetteln mit den entschlüsselten Versen. Darin bat er denjenigen, der ihn finden |374| würde, ein letztes Mal, Nostradamus’ Worte ernst zu nehmen. Doch er wusste, auch diese Bitte würde vergeblich sein. Man würde einfach behaupten, er sei schon immer verrückt gewesen, habe unter paranoider Schizophrenie gelitten, ein begabter Mathematiker, der an seinem eigenen Genie zerbrochen sei. Täglich brachten sich Dutzende Leute in Deutschland um. Er war nichts Besonderes. Niemand würde seinen letzten Worten Beachtung schenken.
Es hatte keinen Sinn,
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