Schwarzer Regen
nächste Opfer frei wird. Helfen Sie mir, unser Volk wieder stark zu machen! Werden Sie das tun?«
Es war keine Bitte, die Freimann geäußert hatte – es war eine Aufforderung, die Pflicht gegenüber seinem Land zu erfüllen. Und Gerd wusste, dass er dieser Aufforderung Folge leisten musste – auch wenn es das Letzte war, was er im Leben tat.
»Ja«, sagte er und war stolz auf den festen Klang seiner Stimme. »Ich werde Ihnen helfen!«
Freimann lächelte. »Ich wusste, als ich den Bericht über Sie las, dass Sie aus dem richtigen Holz geschnitzt sind! Sie sind mutig, tapfer und treten für Ihre Ideale ein! Wenn Deutschland mehr Männer Ihres Kalibers hätte, dann wäre Karlsruhe nie passiert!« Er erhob sich und nickte der Blondine zu. »Frau Pahlmann wird Ihnen ein Formular geben, das Sie unterschreiben müssen, damit wir Sie verlegen können. Den Rest erledigen wir. Heute Nachmittag wird Sie |215| ein Spezialtransport abholen und nach Berlin bringen. Auf Wiedersehen, Herr Wesel!«
»Auf Wiedersehen, Herr Freimann«, sagte Gerd. Er fühlte sich besser als jemals zuvor in den letzten vier Wochen. Ohne den dreiseitigen Text des Verlegungsdokuments auch nur zu überfliegen, unterschrieb er. Die Blondine nickte ihm zum Abschied zu, dann verließen die drei das Zimmer.
Die hübsche Krankenschwester, die während des kurzen Besuchs die ganze Zeit anwesend gewesen war, lächelte ihm zu, doch die niedliche Sorgenfalte auf ihrer Stirn hatte sich noch vertieft.
|216| 45.
»Willst du mal meinen Action-Man sehen? Der kann genauso gut kämpfen wie du!« Max sah Lennard herausfordernd an. Er hatte die goldbraunen Augen und das dunkle, kaum zu bändigende Haar von seiner Mutter geerbt. Ein hübscher Junge, der sogar Ben ein bisschen ähnelte. Seltsamerweise empfand Lennard bei diesem Gedanken keinen Schmerz. Im Gegenteil, es tröstete ihn. So als habe sich ein bisschen von Bens Geist in den Körper des Jungen gerettet.
Lennard schüttelte den Kopf über sich selbst.
»Schade«, sagte Max, der sein Kopfschütteln als Ablehnung gedeutet hatte.
Seine Mutter, die gerade einen Topf mit Wasser für die Spaghetti aufsetzte, warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Lass Herrn Pauly bitte in Ruhe!«
»Nein, es ist schon gut. Ich habe gerade an etwas anderes gedacht. Ich schau mir deinen Action-Man gerne an!«
Er folgte Max in sein Zimmer. Legosteine, Actionfiguren und Spielzeugautos lagen zwischen Bilderbüchern auf dem Boden. Auf einem kleinen Schreibtisch lag ein Zeichenblock, auf dem Max ein brennendes Haus gemalt hatte. Ein rotes Auto mit einem Schlauch, der aus dem Dach kam, stand daneben. Im Hintergrund sah man ein pilzförmiges schwarzes Gebilde. Offenbar waren die Fernsehbilder nicht spurlos an dem Jungen vorbeigegangen.
»Hier, das ist Action-Man. Guck mal, er hat eine Maschinenpistole und ein Raketengewehr, und mit diesem Rucksack kann er sogar fliegen. Und das da ist Skeletto, das ist der Böse. Aber Action-Man ist stärker.« Er demonstrierte es, indem er die muskelbepackte Plastikfigur auf den |217| Bösewicht einschlagen ließ und diesen durch die Luft warf. »Bamm, Bamm, Baff! Uuaaaahh …«
Ben hatte dieselbe Figur gehabt, und er hatte genauso mit ihr gespielt.
»Was hast du?«, fragte Max und sah ihn sorgenvoll an. »Bist du traurig?«
Lennard lächelte. »Nein, nein, mir ist nur was ins Auge geflogen.«
Max hielt ihm die beiden Figuren hin. »Zeigst du mir, wie man richtig kämpft? So, wie du vorhin gekämpft hast? Also, Skeletto, das ist der ohne Haare, und Action-Man bist du, ja?«
Lennard sah Max einen Moment lang an. War er nicht ein schlechtes Vorbild, wenn er dem Jungen etwas über Kampftechnik erzählte? Andererseits, welchen Schaden konnte er schon anrichten angesichts der endlosen Gewalt, die vom Fernseher und aus Videospielen auf den Jungen einprasselte?
Er nahm die Figuren in die Hand. »Also, pass auf. Das Wichtigste ist, dass du schnell und beweglich sein musst. Du stellst dich so hin, die Beine auf Schulterbreite gespreizt, und du stehst vorn auf den Fußballen. Wenn der Gegner dann angreift, weichst du schnell zur Seite aus. Und dann drehst du dich so und nutzt den Schwung aus, den dein Gegner hat, und dann fällt er über dich, so, und liegt auf dem Boden. Im Grunde musst du gar nicht viel machen. Die Kraft, die er eingesetzt hat, um dich anzugreifen, wirkt gegen ihn selbst.«
»Cool! Kannst du mir das nicht auch beibringen?«
»Später vielleicht, wenn du ein bisschen größer
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