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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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saß im Wohnzimmer eines jungen Ehepaares – billige, pseudomoderne Pressspan-Möbel, die ohne jeden Funken Geschmack zusammengewürfelt waren – und sah ihre Interviewpartner ungläubig an. »Sie wollten Nacktfotos machen?«
    Der Mann nickte. »Ist nun mal unser Hobby. Silvia wollte immer schon Model werden, und sie sieht ja auch echt verdammt sexy aus, oder?«
    Faller musste zugeben, dass seine Frau mit ihren langen, blonden Haaren und dem kindlichen Gesicht recht hübsch war, wenn auch nicht gerade wie ein Model. »Und dazu sind Sie in die Sperrzone eingedrungen?«
    »Na ja, ist doch geil, oder? Wann hat man schon mal die Gelegenheit, in den Ruinen einer Stadt Fotos zu schießen? Der Sieg des prallen Lebens über den Tod! Die Bilder wären rund um die Welt gegangen, das garantiere ich Ihnen!«
    Faller hatte Lust, auf den braunen Teppich zu kotzen. Sie konnte nachts nicht schlafen, weil die Angst vor den Folgen ihrer Verstrahlung sie quälte, und diese Armleuchter waren im Begriff gewesen, sich freiwillig dieser Gefahr auszusetzen! Am liebsten hätte sie den jungen Mann, der sie da so unschuldig angrinste, gepackt und so lange geschüttelt, bis er Vernunft annahm.
    Stattdessen atmete sie tief durch und krempelte den Ärmel ihrer Bluse hoch. Darunter kam ein Verband zum Vorschein, der fast den ganzen Unterarm bedeckte. Unter den erschrockenen Augen des Pärchens entfernte sie den Verband und entblößte ein fingerlanges Geschwür. Es war |222| schon wieder an mehreren Stellen aufgeplatzt, und gelblichweiße Flüssigkeit benetzte die Wunde.
    »Ich war dem schwarzen Regen nur für ein paar Minuten ausgesetzt«, sagte sie. »Das hier ist bei weitem nicht alles, was die Strahlung mit mir gemacht hat.« Tränen der Wut drängten sich in ihre Augen. »Niemand weiß, ob ich in ein paar Jahren Knochenkrebs bekomme oder an Leukämie sterbe. Trotzdem habe ich noch Glück gehabt, sagen die Ärzte. Und Sie wollten freiwillig dorthin gehen!«
    Der Mann war kreidebleich geworden. Seine Frau starrte ihn an, als würde ihr erst jetzt klar, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit über die geplante Fotosession gesagt hatte.
    »Sie können wirklich von Glück sagen, dass die Polizei Sie aufgegriffen hat!« Insgeheim wünschte sich Faller beinahe, dass dieser Volltrottel dieselbe schreckliche Angst empfand, die sie befiel, sobald sie Zeit zum Nachdenken fand.
    Ein paar Tage nach der Katastrophe hatten die Übelkeitsschübe nachgelassen, so dass sie geglaubt hatte, unbeschadet davongekommen zu sein. Sie war immer zäh gewesen und hatte die dringende Empfehlung der Ärzte, zu den Nachuntersuchungen zu kommen, ignoriert. Aber vor drei Wochen hatte sie Kopfschmerzen und Schwindelgefühle bekommen. Sie hatte die Beschwerden zunächst für eine harmlose Sommergrippe gehalten, war jedoch aufgrund eines zunehmend unguten Gefühls schließlich doch zum Arzt gegangen. Der hatte sie mit neutraler Stimme darüber informiert, dass die Zahl der weißen Blutkörperchen viel zu niedrig war und ihr Immunsystem stark geschwächt.
    Die Zeit seitdem erschien ihr wie ein einziger Alptraum. Ihre Haut war in den Tagen nach dem Anschlag fleckig und voller kleiner Pickel gewesen, dann jedoch vollständig verheilt. Auch ihre Haare waren längst zu einem modischen Kurzhaarschnitt nachgewachsen. Jetzt jedoch bildeten sich |223| am ganzen Körper eitrige Pusteln und Schwären, die trotz aller Bemühungen der Ärzte nicht abheilen wollten.
    Dirk Braun hatte ihr vorgeschlagen, sie solle sich freinehmen und sich auf ihre Behandlung konzentrieren, doch Faller wusste, sie wäre wahnsinnig geworden, wenn sie in ihrem Zustand nur zu Hause gehockt hätte. Also hatte sie sich in die Arbeit geflüchtet und begonnen, eine Serie von Reportagen über die Folgen der Katastrophe zu machen.
    Der aktuelle Beitrag beschäftigte sich mit den unzähligen Irren, die immer wieder versuchten, in die Sperrzone einzudringen. Jeden Tag wurden Dutzende von den Polizeistreifen aufgegriffen. Es waren Lebensmüde darunter, die sich von einer der Hochhaus-Ruinen stürzen wollten, Verzweifelte, die nach den sterblichen Überresten der Angehörigen suchten, aber auch erschreckend viele auf den ersten Blick ganz normale Menschen, die die zerstörte Stadt offenbar für eine neue Freizeitattraktion hielten.
    Unter Jugendlichen galt es als Mutprobe, in den Ruinen herumzulaufen, und auf dem Schwarzmarkt wurden halb geschmolzener Schmuck und sogar verkohlte Knochen von Opfern verkauft, die

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