Schwarzer Regen
Stirn. Er überlegte einen Moment, dann nickte er. In den Nachrichten hatte er gesehen, dass |212| die PDV nach dem Anschlag enormen Zulauf bekommen und bei einer Landtagswahl vor zwei Wochen sensationelle Stimmengewinne verbucht hatte. Und nun kam ihr Vorsitzender ausgerechnet zu ihm, einem Niemand, der sich lediglich dadurch auszeichnete, einer der Überlebenden von Karlsruhe zu sein. Offenbar war die PDV die einzige Partei, die die Sorgen und die Wut der Menschen wirklich ernst nahm.
Freimann war nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich ein muskulöser Mann in dunklem Anzug, vermutlich sein Bodyguard, und eine Blondine in mittlerem Alter mit herabhängenden Mundwinkeln und einer ovalen Brille mit Goldrand. Der kahlköpfige PDV-Vorsitzende selbst war nicht sehr groß, doch seine blauen Augen unter den buschigen, fast vollständig zusammengewachsenen Brauen wirkten hellwach. Er lächelte nicht, als er Gerd die Hand hinstreckte.
»Herr Wesel, im Namen der Partei des Deutschen Volkes möchte ich Ihnen mein Mitgefühl ausdrücken für das Leid, das Sie und Ihre Kameraden erdulden mussten!«
Gerd krächzte ein Wort des Dankes, während er sich fragte, woher dieser Freimann von seinen Freunden wusste.
»Ich habe davon gehört, dass Sie kurz vor dem Anschlag verhaftet wurden, weil Sie gegen eine Demonstration der Islamisten protestiert hatten«, erklärte Freimann. »Meine Partei empfindet es als einen Skandal, dass unsere Sicherheitskräfte aufrechte Deutsche verhaften, die sich für die Ehre unseres höchsten Gerichts einsetzen, anstatt unser Land vor Terror zu schützen!«
Gerd spürte, wie allmählich Kraft in seine Adern zurückkehrte. Vielleicht lag es an der Spritze, vielleicht an den Worten dieses Mannes, in dessen Gesicht so viel Mitgefühl und gleichzeitig so viel Entschlossenheit lagen. Freimann |213| sprach aus, was Gerd schon seit Wochen empfand: eine unbändige Wut auf diejenigen, die sämtliche Warnungen vor terroristischer Bedrohung ignoriert hatten und stattdessen zuließen, dass erklärte Feinde des Landes hier tun und lassen konnten, was sie wollten.
Im Grunde hatte es Deutschland nicht besser verdient: Die Sicherheitsbehörden hatten offensichtlich aus der Tatsache, dass die Anschläge des elften Septembers 2001 von deutschem Boden aus vorbereitet worden waren, nichts gelernt. Nun musste das Land den Preis für seine Naivität und Nachlässigkeit zahlen. Das Schlimme war nur, dass nicht etwa die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Während der Innenminister und seine Behördenleiter in Berlin in Sicherheit saßen, waren unbescholtene Bürger die Opfer dieses Leichtsinns.
Freimann schien Gerds Gesichtsausdruck lesen zu können. »Glauben Sie mir, ich verstehe Ihren Zorn nur zu gut!«, sagte er. »Ich habe selbst einen Bruder in Karlsruhe verloren. Das Schlimmste ist dieses Gefühl der Ohnmacht, nicht wahr? Das Gefühl, dem Schicksal ausgeliefert zu sein, nichts tun zu können.«
Gerd nickte.
Freimann beugte sich vor. Seine stahlblauen Augen schienen Gerd zu durchbohren. Er senkte die Stimme. »Aber Sie sind nicht machtlos! Sie können etwas tun. Sie können helfen, unser Land zu verändern!«
Gerd war verwirrt. Was sollte ausgerechnet er dazu beitragen können, dass sich in Deutschland etwas änderte?
»Sie sind durch die Hölle von Karlsruhe gegangen«, fuhr Freimann fort. Seine Stimme war angenehm weich. Aber man spürte auch, dass dieser Mann ganz genau wusste, was er wollte. »Sie wissen besser als alle anderen, welch schreckliche Wunde dieser Anschlag unserem Volk zugefügt hat!«
|214| Erneut spürte Gerd, wie sich ihm die Kehle zuschnürte, doch diesmal war es nicht der schreckliche Schleim, sondern ein Gefühl der Rührung. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Freimann legte die Hand auf Gerds Unterarm, vorsichtig, um seine empfindliche Haut nicht zu stark zu belasten. »Sie können mithelfen, den Menschen die Augen zu öffnen!«
»Was … was muss ich tun?« Gerd war überrascht, wie klar seine Stimme plötzlich klang. Es war, als übertrüge sich ein Stück von Freimanns Energie auf seinen Körper.
»Kommen Sie mit mir«, sagte der PDV-Vorsitzende. »Die Partei besitzt ein Gästehaus, in dem wir Sie unterbringen können. Selbstverständlich mit modernster medizinischer Versorgung. Bleiben Sie nicht an diesem trüben Ort, wo die Ärzte Ihnen Beruhigungs- und Schmerzmittel spritzen und darauf warten, dass Sie endlich sterben, damit Ihr Bett für das
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