Schwarzer Regen
richtig.
Er aß in einem Schnellrestaurant zu Mittag, dann fuhr er in seine Wohnung. Unterwegs fiel ihm ein, dass er noch ein Mitbringsel für Fabienne Berger brauchte. Also hielt er noch einmal an dem Blumenladen. Einer Blumenverkäuferin Blumen zu schenken kam ihm ein bisschen unpassend vor, aber er hatte weder Zeit noch Ideen für eine Alternative.
»Wissen Sie zufällig, welche Blumen Ihre Kollegin Fabienne Berger am liebsten mag?«, fragte Lennard die ältere, rundliche Frau, der der Laden vermutlich gehörte.
»Fabienne? Tulpen«, antwortete sie, ohne zu zögern.
»Tulpen? Das sind doch Frühlingsblumen, oder?«
»Ja, aber heutzutage kann man sie das ganze Jahr über kaufen. Soll ich Ihnen einen schönen bunten Strauß zusammenstellen?«
»Ja bitte.«
Die Ladenbesitzerin lächelte breit. »Ich glaube, es ist das erste Mal seit langem, dass Fabienne Blumen bekommt. Sie wird sich sehr darüber freuen!«
Um Punkt drei Uhr klingelte er an der Wohnungstür. Max öffnete. »Hallo Lennard! Mami, guck mal, Lennard hat Blumen mitgebracht!«
Seine Mutter kam aus der Küche. »Hallo, Herr Pauly. Oh, Tulpen! Meine Lieblingsblumen!«
»Ihre Kollegin meinte, dass Sie sie mögen.«
Sie strahlte. »Kommen Sie doch rein!«
Der Duft von Kaffee und Kuchen empfing ihn, und plötzlich war er sicher, gleich Martina und Ben am buntgeschmückten Geburtstagstisch sitzen zu sehen. Er blieb stehen.
»Was haben Sie? Ist Ihnen nicht gut?«
|244| Lennard rang sich ein Lächeln ab. »Nein, nein. Es ist nur, dieser Duft … er hat mich an etwas erinnert.«
Fabienne Berger blickte verunsichert drein. »Der Kuchen war etwas zu lange im Ofen, aber …«
»Nein, es duftet herrlich! Es ist nur schon lange her, dass ich frischgebackenen Kuchen gerochen habe! Das weckt eben einfach Erinnerungen. Schöne, aber auch ein bisschen schmerzhafte Erinnerungen.«
»Ich verstehe, was Sie meinen.« Ihr Gesicht wurde einen Moment ernst. Dann lächelte sie. »Max hat sich schon sehr auf Sie gefreut!«
»Ach ja, richtig, für Max hab ich ja auch noch was.«
»Für mich? Was denn?«
Lennard gab ihm ein kleines Paket, das er mangels Geschenkpapier in Alufolie eingepackt hatte.
Max packte es aus. Darin war eine blaue Plastikschachtel.
»Mach mal auf«, sagte Lennard.
Max öffnete die Schublade an der Seite der Schachtel und schaute verblüfft hinein. »Leer!«, sagte er.
»Mach sie wieder zu und gib sie mir!«
Der Junge gehorchte.
»Und jetzt sprich mir nach: ›Hokuspokus, Abrakadabra, Schachtel zeige dein Geheimnis!‹«
»Hokuspokus, Abrakadabra, Schachtel zeige dein Geheimnis!«, sagte Max ernst.
Lennard gab dem Jungen die Schachtel zurück. »Mach sie auf!«
Als Max die Schachtel öffnete, lag eine rote Rosenblüte darin.
Max blickte einen Moment verwundert auf die Schachtel. »Wow!«, sagte er. »Wie hast du das denn gemacht?«
»Es ist eine Zauberschachtel. Sie hat meinem Sohn Ben gehört. Als er so alt war wie du, hat er uns immer Zaubertricks vorgeführt. Ich fand sie neulich beim Aufräumen.«
|245| Berger wirkte bestürzt. »Das … das ist sehr lieb von Ihnen, aber das können wir unmöglich annehmen!«
Lennard sah zu ihr auf. »Diese Schachtel lag zehn Jahre lang irgendwo in einer Ecke meiner Wohnung herum. Sie hat in all der Zeit niemandem Freude gemacht, am allerwenigsten mir. Ich möchte, dass Ihr Sohn mit ihr spielt, so wie Ben es getan hat, und sich genauso daran erfreut. Es ist das Beste, das man mit so einer Schachtel machen kann. Ich bin sicher, Ben hätte es gewollt.«
Berger schien einen Moment unfähig zu sprechen. Sie nickte nur stumm.
»Danke!«, rief Max. »Vielen Dank! Zeigst du mir, wie sie funktioniert?«
»Ganz einfach. Die Schachtel hat zwei Schubladen, die ineinander liegen. Siehst du, man kann die hintere Wand ein Stück zur Seite schieben, so. Wenn die Wand geschlossen ist, zieht man den unteren Boden heraus, dann ist die Schublade leer. Wenn du sie so verschiebst, kannst du die innere Schublade herausziehen.«
»Ist ja cool! Wie die Zauberer im Fernsehen! Wenn das die Jungs in meiner Klasse sehen …«
»Wenn ich dann vielleicht zu Tisch bitten dürfte«, sagte Fabienne Berger. Auf dem Wohnzimmertisch standen Kaffee, Kuchen und Kakao für Max. Der gedeckte Apfelkuchen war ein bisschen trocken geraten, dennoch hatte Lennard das Gefühl, schon lange nicht mehr etwas so Gutes gegessen zu haben. Die Erinnerungen an glückliche Tage mischten sich auf rätselhafte Weise mit der Realität, so dass
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