Schwarzer Regen
lag außerhalb seiner Macht. Besser, er konzentrierte sich wieder auf seinen Job.
Im Internet fand er Unmengen an Informationen und Bildern von Eva Benz. Immerhin war sie ein Topmodel gewesen und hatte immer noch eine Menge Fans, auch wenn es seit ihrer Hochzeit ruhiger um sie geworden war. Es gab Gerüchte, dass sie in einem Sexfilm mitgewirkt habe, und Lennard fand sogar eine Website, auf der man gegen Bezahlung von zehn Dollar angeblich einen Film mit ihr sehen konnte. Er sparte sich das zweifelhafte Vergnügen – der Film war sicher eine Fälschung. Auch wenn Evas Karriere nicht immer nur steil nach oben gegangen war, erschien es ihm ausgeschlossen, dass sie so tief gesunken sein könnte.
Auch über Heiner Benz wusste Google einiges zu berichten. Seine Firma hatte nach dem Anschlag stark an Wert verloren, doch Benz hatte auch schon den Zusammenbruch der New Economy überstanden, und die meisten Kommentatoren trauten ihm durchaus zu, ein weiteres Mal gestärkt aus der Krise hervorzugehen, falls Always Online nicht vorher von einem Konkurrenten geschluckt wurde. Dafür schien es eine Reihe von Interessenten zu geben. Aber Benz war als gerissener Geschäftsmann bekannt, |241| der sich gegen die Attacken seiner Gegner sehr wohl zu wehren wusste und oft im entscheidenden Moment mit überraschenden Winkelzügen oder unerwarteten Verbündeten konterte.
Lennard, der vom Wirtschaftsgeschehen nicht allzu viel verstand, las die Artikel aufmerksam. Immerhin enthielten sie Hinweise darauf, aus welcher Richtung mögliche Betriebsspionage oder Manipulationen drohen könnten. Unter den Konkurrenten, die sich angeblich für eine Übernahme interessierten, waren ein deutsches, ein amerikanisches und ein italienisches Unternehmen. In einem Artikel war davon die Rede, dass Benz einen befreundeten russischen Milliardär als sogenannten »White Knight« ins Feld führen könnte – einen Investor, der einen wesentlichen Teil der Aktien in Abstimmung mit Benz aufkaufte und so wie ein weißer Ritter aus dem Märchen eine feindliche Übernahme verhinderte.
Gegen Mittag machte Lennard eine Pause, um zum Friedhof zu fahren. Obwohl die Rosen vom Vortag sicher noch frisch waren, fuhr er wieder bei dem kleinen Blumenladen vorbei.
Fabienne Berger strahlte, als sie ihn sah. »Hallo, Herr Pauly! Wieder wie gestern?«
Er nickte. Sie stellte ihm den Strauß zusammen, er bezahlte. Irgendwie hatte er das Gefühl, noch mehr sagen zu müssen als »Vielen Dank, auf Wiedersehen!«, doch er wusste beim besten Willen nicht, was.
Sie lächelte schüchtern. »Herr Pauly, hätten Sie vielleicht Lust, nachher zum Kaffeetrinken zu uns zu kommen? Max fragt oft nach Ihnen. Ich meine, ich würde mich natürlich auch freuen!«
Lennard erschrak beinahe. »Gern, aber …«
»Ist vielleicht ein bisschen plötzlich. Wirklich kein Problem, wenn es Ihnen nicht passt.«
|242| »Doch, doch«, beeilte er sich zu sagen. »Es passt mir gut.«
Ihre Augen schienen zu leuchten. »Das ist schön! Sagen wir um drei Uhr?«
Reflexartig sah er auf Bens Uhr, die wie immer drei Minuten nach fünf zeigte. »Können Sie mir sagen, wie spät es ist?«
Sie schaute ihn verwirrt an. »Ist Ihre Uhr stehengeblieben?«
Er nickte. »Sie gehörte meinem Sohn. Ist stehengeblieben, als …«
»Oh.« Fabienne Berger wurde blass. »Das wusste ich nicht. Es tut mir leid …«
»Nein, nein, schon gut. Es ist vielleicht ein bisschen albern, dass ich eine Uhr trage, die nicht funktioniert.«
»Nein, das ist überhaupt nicht albern!« Ihre braunen Augen glänzten plötzlich. Sie blinzelte. Dann fiel ihr ein, dass er sie etwas gefragt hatte. »Es ist kurz vor eins. Max kommt gleich aus der Schule.«
»Vielen Dank. Dann also bis nachher!« Er wandte sich um.
»Herr Pauly?«
»Ja?«
»Ihre Blumen!«
»Ach, natürlich. Danke.« Verwirrt verließ er den Laden. Es war ihm noch nie zuvor passiert, dass er etwas, das er gerade gekauft hatte, an der Kasse hatte liegenlassen. Ihm wurde klar, dass er soeben das erste Date seit mehr als zwanzig Jahren verabredet hatte. Ein bisschen weich in den Knien stieg er in den Wagen und fuhr zum Friedhof.
Lennard war immer ein rationaler Mensch gewesen. Er hatte nie an ein Leben nach dem Tod geglaubt und von Totenkult nicht viel gehalten, doch jetzt scherte es ihn nicht, was er früher gedacht hatte. In Gedanken erzählte er |243| Ben von seiner Verabredung, und sein Sohn schien sich darüber zu freuen. Es fühlte sich einfach gut an, gut und
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