Schwarzer Regen
dass er sie ausgerechnet hier, ausgerechnet jetzt wiedersah, blieb kein Raum für Zweifel.
Eva.
Es musste mehr als zwanzig Jahre her sein, dass er das |238| letzte Mal mit ihr gesprochen hatte. Er war unsterblich verliebt gewesen, so wie die meisten seiner männlichen Mitschüler. Sie war schon damals eine Schönheit. Später hatte sie eine Karriere als Fotomodell gemacht. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass er sie vor ein paar Jahren zufällig auf dem Cover einer Zeitschrift an einem Kiosk entdeckt hatte. »Das Model und der Milliardär« oder so ähnlich hatte die Überschrift gelautet. Da er sich nicht für das Leben der Schönen und Reichen interessierte, sofern es sich nicht um Zielpersonen handelte, hatte er keine Ahnung gehabt, dass ausgerechnet Heiner Benz der Glückliche gewesen war. Nie hätte er gedacht, sie noch einmal wiederzusehen.
Sie bat Pawlow ins Haus. Ihre Gesten wirkten herzlich, so als freue sie sich, den Sicherheitschef der Firma ihres Mannes zu sehen. Sie schienen sich gut zu kennen.
Lennard merkte, dass er zu lange vor dem Grundstück gehalten hatte, um noch unverdächtig zu wirken. Rasch fuhr er weiter.
Er hatte vorgehabt, eine Weile in der Nähe des Hauses zu bleiben und zu warten, ob Pawlow allein wegfuhr, aber das Risiko erschien ihm jetzt zu hoch. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, dann hatte Eva kurz in seine Richtung geblickt. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihn nach all den Jahren auf die Entfernung erkannt hatte, aber vielleicht war ihr der graue Golf aufgefallen, der vor ihrem Grundstück hielt.
Lennard fuhr zurück ins Hotel, um ein wenig im Internet über Heiner und Eva Benz zu recherchieren. Im Autoradio lief ein Bericht über einen missglückten Polizeieinsatz gegen eine mutmaßliche Terrorzelle in der Kölner Innenstadt. Lennard stellte das Gerät lauter. Die Attentäter hatten sich selbst und die ganze Wohnung in die Luft gesprengt. Das Haus war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Vier Araber, fünf Polizisten und drei Unbeteiligte |239| waren gestorben, zwölf weitere Menschen zum Teil schwer verletzt worden.
Der Bundesinnenminister gab mit ernster Stimme eine offizielle Erklärung ab. Er bedauerte den tragischen Vorfall und sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Noch im Tod hätten die Terroristen unsägliches Leid angerichtet, doch nun sei das Attentat von Karlsruhe endlich aufgeklärt. Die Getöteten seien Mitglieder der Gruppe um den weltweit gesuchten Top-Terroristen Nariv Ondomar gewesen, die in einem Bekennerschreiben die Verantwortung für den Anschlag von Karlsruhe übernommen hätte. Dem Generalbundesanwalt lägen eindeutige Hinweise vor, dass der Anschlag von der Kölner Wohnung aus vorbereitet worden sei. Man sei vom Tod der Haupttäter überzeugt, lediglich ein Helfer sei noch auf der Flucht. Der Minister bedankte sich für die gute Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der Verbündeten.
Lennard hätte erleichtert sein, vielleicht sogar eine gewisse Befriedigung empfinden sollen, auch wenn weitere Unschuldige umgekommen waren. Der Anschlag von Karlsruhe schien aufgeklärt, die Schuldigen hatten ihre gerechte Strafe erhalten. Der Tod seines Sohnes war endlich gerächt.
Doch sein kriminalistischer Instinkt rebellierte gegen die offizielle Erklärung. Das war viel zu simpel. Vier Terroristen mochten tot sein, doch die Organisation, der sie angehört hatten, existierte weiter. Ondomar versteckte sich angeblich noch irgendwo in der unübersichtlichen Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan.
Wenn die Getöteten tatsächlich an dem Anschlag beteiligt gewesen waren, dann waren es sicher verblendete Fanatiker gewesen, willige Handlanger. Sie mochten die Bombe nach Karlsruhe gebracht und gezündet haben, aber sie hatten sie weder beschafft noch nach Deutschland geschmuggelt. |240| Ein solches Attentat konnte keine kleine, unabhängige Zelle geplant haben. Um eine Atombombe nach Deutschland zu bringen, war komplizierte Logistik notwendig. Die wirklich Schuldigen waren noch lange nicht gestellt.
Wut füllte seinen Bauch. Es war eine Sauerei, dass man von offizieller Seite versuchte, die Angehörigen der Opfer von Karlsruhe mit einer so billigen Erklärung abzuspeisen! Andererseits war die Ansprache des Innenministers vielleicht nur ein Ablenkungsmanöver. Möglicherweise wollte man die wahren Verantwortlichen in Sicherheit wiegen, während das BKA weiter Jagd auf sie machte.
Er verdrängte den Gedanken. Die Aufklärung der Hintergründe des Anschlags
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