Schwarzer Regen
Klassenräume zeigte, sahen wir, daß jeder
Zentimeter Boden mit Verwundeten bedeckt war, genau wie in Hesaka. Ich fand
meinen Mann nicht. Der Soldat, der wie ein Sanitäter aussah, rief:
„Sanitätsreservist Iwatake! Wo sind Sie?“ Und ich rief auch: „Hiroshi! Hiroshi,
bist du hier?“
Irgend etwas schnürte mir die Kehle zu, und ich konnte kaum
atmen. Es kam keine Antwort. Dann sah ich, wie sich schwach eine Hand
hochstreckte, und begriff, er mußte es sein. Sein Gesicht war auf das Doppelte
der normalen Größe angeschwollen, das ganze rechte Ohr war mit Mull und
Heftpflaster zugeklebt. Er hatte Schmerzen im Ohr. Es berührte mich seltsam:
Immer, wenn ein Verwundeter stöhnte, fingen auch die anderen an zu stöhnen. Ein
unheimliches Geräusch — ich sollte so etwas vielleicht nicht sagen, aber es
klang tatsächlich wie ein Froschchor, der in einem Reisfeld anhebt.
Offiziell, vermute ich, würde man dieses
Aufnahmelager in dem Schulgebäude „Behelfslazarett des Militärkrankenhauses der
Ersten Armee in Hiroshima“ genannt haben. Die medizinische Versorgung und die
Einrichtung waren unzulänglich, aber in einer solchen Notlage konnte man sich
darüber praktisch nicht beklagen; die Vorschriften aber blieben streng wie bei
der Armee. Da es zur Hilfe die Mitglieder der Frauenvereinigung für Nationale
Verteidigung gab, durften sich die Angehörigen von Patienten in keiner Weise um
sie kümmern. Und trotzdem, ich konnte doch nicht einfach nach Hause gehen und
meinen Mann an der Schwelle des Todes allein lassen! Also versuchte ich es mit
den Redensarten, die jeder während des Krieges parat hatte — das einzig
Wichtige, sagte ich, ist es doch, so viele wie möglich zu heilen, damit sie dem
Vaterlande dienen können. Ich fand es ziemlich kühn von mir. Aber der
Sanitätshelfer verzog keine Miene. Ich war furchtbar erregt und ging zum
Chefarzt, der die gleiche Universität wie mein Mann besucht hatte, und
überredete ihn, Hiroshi auf seinen persönlichen Befehl in ein Zimmer mit nur
zwei Verwundeten umlegen zu lassen. Das bedeutete, daß er die gleiche
Behandlung wie ein Stabsarzt erhielt. Genaugenommen hatte er, obwohl er zur
Sanitätsreserve gehörte, nur einen Mannschaftsdienstgrad,
da er ja angeblich noch in der Ausbildung stand. In der Praxis hielt diese
„Beförderung“ nur ein paar Stunden vor. Ein Oberst, Kommandeur einer
Infanterieeinheit, der bereits in dem Zimmer lag, in das man ihn brachte, hatte
Gehirnentzündung, war bewußtlos und starb noch in derselben Nacht.
Er wurde dann in einen winzigen Raum für drei
Patienten gebracht. Die beiden anderen Männer, die schon drinlagen, waren ein
Arzt aus der Präfektur Okayama, den man eingezogen hatte und der jetzt Soldat
Nagashima der Sanitätsreserve hieß, und ein junger Korporal, ein Freiwilliger
aus Kasaoka in der Präfektur Okayama. Nagashima hatte Verbrennungen im Gesicht
und an den Händen und litt an Durchfall. Der junge Korporal hatte keine
Brandwunden, aber eine schwere Verletzung am Kopf.
Die Haltung von Armeeangehörigen gegenüber den
Zivilisten war immer sehr streng, hatte aber auch höchst merkwürdige Seiten.
Das mag sicher nicht für alle zutreffen, aber bei einigen habe ich es
beobachtet. Nachdem man meinen Mann in dieses Dreibettzimmer umgelegt hatte,
kam mein Bruder, Dr. Hosokawa, mit einer Krankenschwester. Sie brachten, soviel
sie nur tragen konnten, Mull, Binden, Ringersche Lösung und
Traubenzuckerinjektionen, Öl zum Bepinseln von Brandwunden und so weiter — alles
Gold wert damals — und schlugen Leutnant Hanaki, dem verantwortlichen
Militärarzt, vor, die Sachen zu verwenden. Der Leutnant aber war sehr erbittert
und wies sie brüsk ab. Die Armee hätte ihre eigenen Methoden, mit den Dingen
fertig zu werden, und er wünschte nicht, daß Zivilisten mit ihrem Kram ankämen.
Aber derselbe Leutnant, wohlgemerkt, wies die Schwester an, die Brandwunden
meines Mannes mit irgendeiner durchsichtigen unerfindlichen Flüssigkeit
einzupinseln. Eines Tages, nachdem sie die vermeintliche Medizin aufgetragen
hatten, fand Hiroshi einen Gurkensamen an sich haften. Am nächsten Tag fragte
er die Schwester, was das für eine Medizin sei, und erwähnte auch das
Samenkorn, das er gefunden habe. „Was?“ rief sie aus. „War da noch ein Samen
drin? Wo wir uns doch solche Mühe gegeben haben, alles durchzuseihen.“ Damit
war es heraus: Sie hatten Gurkensaft zum Bepinseln benutzt. Mein Mann mußte
lächeln, obwohl seine Lippen ganz geschwollen
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