Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
Vom Netzwerk:
Speisenbehälter war besonders groß, wie sie
in der Kantine Verwendung fanden. Als Shigeko den Deckel abhob, enthüllte sie
zusätzlich zu dem Kantinenessen eine Flasche Sake und eine Büchse mit Corned
beef — offensichtlich Geschenke für uns. Außerdem waren zwei nicht mehr frische
Tomaten drin. Ich vermutete, daß der Inhalt der Flasche Shochu war. Seit langem
hatte ich nicht mehr solch eine Kostbarkeit gesehen.
    „Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen danken
soll“, sagte Shigeko, machte eine ausgesprochen tiefe Verbeugung und sprach aus
Ehrerbietung gegenüber dem Geschäftsführer im Tokioer Dialekt.
    „Wirklich, herzlichen Dank“, sagte Yasuko und
verbeugte sich in gleicher Weise.
    Ich gierte förmlich nach dem Essen. Nie zuvor
hatte ich den Geschäftsführer in japanischer Tracht gesehen. Er saß ganz
förmlich auf den Fersen, und ich konnte einen weißen Flicken von ungefähr zwei
Zoll im Quadrat an seinem Knie erkennen, wo sein Kimono ausgebessert war. Die Dreiviertelliterflasche
Sake muß ein gewaltiges Opfer für ihn gewesen sein. Jedesmal, wenn ich auf den
Flicken am Knie blickte, fühlte ich mich furchtbar egoistisch, daß ich das
Geschenk annahm. Meine Vorliebe für einen guten Schluck war ihm wohl bekannt, und
er selbst hatte den gleichen Geschmack.
    „Was ist in der Flasche, Herr Fujita?“ fragte
ich. „Alkohol natürlich!“ sagte er. „Hergestellt aus Enziantinktur. Er enthält
auch medizinischen Sirup.“
    In der japanischen Pharmazie, wußte er zu
berichten, war der sogenannte einfache Sirup eine Lösung von etwa drei Teilen
Weißzucker in etwa sechs Teilen destilliertem Wasser. Die Ärzte benutzten es,
um die Medikamente schmackhafter zu machen. Enziantinktur stellte man her,
indem man zerriebene Enzianwurzel, Apfelsinenschalen und andere Zutaten in
medizinischen Alkohol legte und das Gemisch unter Druck filterte. In der
jetzigen Zeit weigerten sich die Drogerien in der Stadt, sowohl Enziantinktur
als auch Sirup zu verkaufen, aber auf dem Lande konnte man es manchmal zu
annehmbaren Preisen erstehen. Der Geschäftsführer war am Sonntag vorher zu
Hause auf dem Lande gewesen und hatte einen Freund, einen Drogisten, dazu
überreden können, für ihn Enziantinktur zu destillieren. Er hatte auch Sirup
gekauft, den er als Zuckerersatz auf bewahrte.
    „Das ist wirklich eine Kostbarkeit, bei all der
Mühe, die Sie damit hatten“, sagte Shigeko. „Aber vielleicht sollte ich lieber
Wasser holen, wenn es Alkohol ist?“ Sie ging in die Küche hinaus.
    ,*Enziantinktur ist fürchterlich bitter, wenn
man sie nicht destilliert“, erklärte der Geschäftsführer und setzte sich
weniger förmlich mit gekreuzten Beinen hin. „Aber wenn einen das nicht stört
und man es mit Wasser hinunterspült, braucht man nicht mal ein Viertelliter,
und schon wird man ganz fröhlich. Zu Neujahr habe ich drei Achtel von dem Zeug
undestilliert getrunken. Ich bin zwar fröhlich geworden, aber am nächsten Tag
hatte ich Durchfall — verrückt, wenn man bedenkt, daß es gut für Magen und Darm
sein soll.“
    Yasuko nahm eine Portion Essen nach der anderen
aus dem Kasten und stellte sie auf den Tisch. Das Essen, das die Werkkantine
heute zusammengezaubert hatte, bestand aus fünf Maulbeerblatt-Tempuras,
Bohnenmus und Salz, zwei Scheiben Gewürzgurken und einer Schale Gerstenbrei mit
Schrot. Das Ganze viermal, für vier Personen. Die Idee mit den Maulbeerblättern
stammte von einer der Küchenhilfen. Sie bekamen sie von der Maulbeerplantage
gleich neben dem Werk. Die Bauern hatten wegen des Krieges die
Seidenraupenzucht eingestellt; sie hatten die Zweige der Maulbeerbäume
zurückgeschnitten und bauten unter den Bäumen Gemüse an. Ungefähr zu dieser
Jahreszeit schlugen die Maulbeerbäume noch einmal aus den abgesägten Ästen aus
und trugen inzwischen junge Blätter, gerade richtig zum Essen.
    Yasuko trug die Tomaten in die Küche und brachte
sie in Hälften geschnitten zurück, je eine Hälfte für jede der vier Portionen.
Die Büchse mit Corned beef verteilte sie auf vier Teller, die sie dafür
hereingebracht hatte.
    Wir setzten uns zum Essen. Unter dem wachsamen
Blick des Geschäftsführers goß Shigeko Wasser und Alkohol in die Gläser, immer
sieben zu drei Teile. Die Bewegungen ihrer Hände waren irgendwie feierlich, als
ob sie etwas sehr Wertvolles handhabte. Der Geschäftsführer rührte die
Flüssigkeit in seinem Glas mit den hölzernen Eßstäbchen um, und ich folgte
seinem Beispiel.
    „Ich kann Löffel

Weitere Kostenlose Bücher